Duell im Eis
Offiziere legten die Hand an die Mütze, die Mannschaft stand stramm, und dann stieß Malenkow die rote Fahne mit der langen Eisenspitze an der Stange in das Eis, und Rührung überfiel ihn wieder und ließ sein Gesicht zucken.
»So einen Augenblick wird es in meinem Leben nie wieder geben«, sagte Karasow leise zu Nurian.
Nurian antwortete, ebenso leise und ergriffen: »Eine historische Stunde ist es … Aber in keinem Geschichtsbuch wird sie stehen.«
Fast um die gleiche Zeit landeten, 156 Kilometer entfernt, am anderen Ende des Eisberges vier Hubschrauber mit Kufen auf dem glatten, ebenen Eisfeld von ›Big Johnny‹. Als die Rotorblätter still standen, kletterten General Seymore, Vizeadmiral Warner, Commander Brooks, Lieutenant Henderson, Virginia Allenby und Sergeant Mulder aus den Glaskanzeln und hielten vor diesem gewaltigen Panorama aus Eisspitzen, Gletscherspalten, Rissen, Tälern und zerklüfteten Eiswänden den Atem an. Chick Buttler hatte die Kamera vor den Augen und filmte.
Feierlich übergab Warner das Sternenbanner an General Seymore. Mulder riß die Trompete an die Lippen und blies das berühmte Signal von Pearl Harbor. In der vollkommenen Stille, in der glitzernden, eisigen Einsamkeit klangen die Trompetentöne, als gefrören sie in der kalten Luft und schwebten wie klingende Kugeln hinauf in den unendlichen blauen Himmel.
Schweigend, denn jedes Wort war jetzt zu viel, rammte Seymore die amerikanische Fahne in das Eis, trat zurück und legte grüßend die Hand an die Mütze. Es war wie damals, als der Astronaut Armstrong als erster Mensch den Mond betrat und das Sternenbanner in das Urgestein stieß. Damals erlebte die ganze Welt die Erfüllung eines Menschheitstraumes, hier war man jetzt ganz allein, und keine Fernsehstation würde das Bild übertragen.
General Seymore wandte sich um und ging zu der kleinen Gruppe zurück. Man sah ihm seine innere Erregung an, aber er hatte sich im Griff, und selbst seine Stimme klang wie immer. »Das wär's!« sagte er salopp. »Nun beginnt die Arbeit. Heute nachmittag wird die erste Hercules von McMurdo versuchen, hier zu landen. Gelingt das, haben wir viel Zeit gespart.« Er sah Virginia an und nickte ihr zu. »In einer Woche stehen die ersten Häuser. In zwei Monaten können wir mit dem Betrieb beginnen. Dr. Smith will als erstes demonstrieren, wie man mit Laserstrahlen einen dieser Eisfelsen durch- und absägt.« Und dann kapitulierte Seymore doch vor seiner inneren Erregung, und er sagte laut: »Verdammt nochmal, ist das eine Stunde! Darauf trinken wir nachher eine Flasche Champagner. Miß Allenby, so was erleben wir nie wieder …«
Das Schicksal ist oft ein hämischer Regisseur.
Als Sergeant Mulder sein einsames Signal geblasen hatte und die Trompete absetzte, beendete 156 Kilometer weiter die Bordkapelle der ›Gorki‹ die sowjetische Nationalhymne.
Ob ›Big Johnny‹ oder ›Morgenröte‹, der schwimmende Eisgigant war zum Schicksalsberg der beiden mächtigsten Staaten unserer Welt geworden.
2
Vier Monate sind eine lange oder eine kurze Zeit – es kommt darauf an, wie man sie durchlebt hat. Für den einen dehnen sie sich endlos hin, für den anderen fliegen sie vorbei, und man wundert sich, daß bereits ein Drittel des Jahres vorüber ist.
Auf dem Eisberg wurde die Zeit endlos, so völlig unwichtig, daß kaum einer auf den Kalender blickte oder die Tage zählte oder auch nur darüber ein Wort verlor. Nur eines erkannte jeder: Ein Tag war eine so kurze Spanne, wie man sie vorher nie gekannt hatte. Man erhob sich am frühen Morgen, und wenn es Abend wurde, hatten die meisten das Empfinden, hier am Südpol sei alles anders, die Uhren tickten schneller, die Stunden schrumpften zusammen.
An den beiden Enden des Eisberges, 156,8 Kilometer voneinander entfernt und bei dieser Entfernung ohne Kenntnis voneinander, entstanden in einem atemraubenden Tempo die Stützpunkte ›Big Johnny‹ und ›Morgenröte‹. Bei den Amerikanern wurde das flache abfallende Eisfeld geebnet und abgeschliffen, um dort die dick isolierten Fertigteilhäuser aufzurichten, Straßen aus Eis zu planieren und ein ölbetriebenes Heiz- und Elektrowerk zu bauen, ein Magazin, Werkstätten für die Motorschlitten und Raupenfahrzeuge, ein kleines Kino, ein Haus für den Sport, wo man neben Boxen und Basketball an vielen Trainingsgeräten seinen Körper fit halten konnte, einen Drugstore, in dem man alles kaufen konnte, vom Kaugummi bis zum Pin-up-Girl, das man sich mangels echter
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