Duell im Eis
rote Fahne mit dem goldenen Hammer und der goldenen Sichel empor, und das war nun der Augenblick, wo Malenkow sich nicht mehr schämte, daß ihm die Tränen über die Wangen liefen, und er die Fahne und den Eisberg grüßte und wußte, daß dies die größte Stunde seines Lebens war, eine Sternstunde, die ein Mann nur einmal erleben kann.
»Genossen«, sagte er, als die Hymne beendet war, »das ist nur der Anfang. Ihr alle wißt, was noch vor uns liegt. Viel Arbeit wird es geben, viele Opfer werden wir bringen müssen, auf die Zähne beißen werden wir, verfluchen werden wir den Eisberg noch, aber es wird immer eine Ehre bleiben, diese Arbeit für unser Volk tun zu dürfen. – Alle Mann auf Station! Nurian!«
»Genosse Kapitän.« Der Leitende Offizier stand wieder stramm.
»Wir fahren den Berg entlang. Langsame Fahrt. Nach fünf Seemeilen erreichen wir den Fjord und werden dann sehen, ob er befahrbar ist. Ich bleibe auf der Brücke.«
Durch die Lüftungsrohre wurde jetzt herrliche, klare, reine Luft ins Boot gesogen, eine Wohltat nach der langen Unterwasserfahrt, Luft, die man trinken konnte wie frischen Wein, die belebte, die Lungen füllte, das Blut reinigte.
Malenkow lehnte sich gegen das Stahlrohrgitter der Brücke und klappte die Ohrenklappen seiner Pelzmütze herunter. Unter ihm, im Boot, sangen die Matrosen, als habe die köstliche Luft sie betrunken gemacht. Malenkow konnte ihre Freude mitempfinden … Mit weiten Augen blickte er den Eisberg der Breite und der Höhe nach an: 40 Kilometer breit, 156 Kilometer lang und 421 Meter hoch, ein Eisblock, dessen Ausmaß fast unbegreiflich war.
Wie sieht es in der Mitte von ihm aus? dachte er. 60, 70 Kilometer einwärts? Berge und Schluchten, Täler und Ebenen, Spalten von Hunderten von Metern und grünblau schimmernde Gletscherseen, ein Wunder der Natur werden wir besetzen, eine atemraubende Schönheit, ein Märchen aus Eis, wie es keine Phantasie beschreiben kann. Und ein immerwährender, unerbittlicher, grausamer Feind, vergessen wir das nicht, Genossen!
Über zwei Stunden blieb Malenkow, in seinen dicken Pelz vermummt, auf der Brücke stehen. Dann sah er das riesige Loch im Berg, den Eingang zum überdeckten Fjord, dem Platz, an dem die neue U-Boot-Basis entstehen würde. Ein glitzernder Schlund, ein aufgerissener Riesenmund mit gezackten, spitzen Zähnen. Das Maul eines Molochs, außen, in der Sonne, wie aus schimmerndem Glas gebaut, innen die tiefe Schwärze des Unbekannten.
Ganz langsam glitt die ›Gorki‹ in den Eisberg hinein. Die Scheinwerfer vom Turm und von den Seiten erhellten den etwa 200 Meter breiten Fjord. Über ihnen wölbte sich wie die Kuppel einer Kathedrale die glitzernde Decke der Eishöhle, ein Anblick, der das Herz schneller und das Atmen schwerer werden ließ. Nurian und der Chefingenieur Karasow waren nun auch auf die Brücke gekommen und standen schweigend neben Malenkow. Über einen Lautsprecher hörten sie die Durchsagen der Lotpeilung. 54 Meter … 33 Meter … 21 Meter … 16 Meter …
»Maschine stop!« Malenkow stand hinter dem großen Scheinwerfer und drehte ihn nach allen Seiten, leuchtete die Eishöhle ab und die gezackten, wie aufeinander gestapelte Kristalle wirkenden Ufer. »Der Hafen«, er sagte tatsächlich Hafen, »ist nur in Überwasserfahrt zu erreichen. Aber das ist schon innerhalb des Fjords. Bis in die Außenbucht ist Tauchfahrt möglich. Genossen, es gibt keinen besseren unsichtbaren Hafen. Hier«, er zeigte auf die Eiswand und das ruhige, klare Wasser, »wird ›Morgenröte‹ entstehen. Genossen, wir legen an.«
Ganz vorsichtig tastete sich das U-Boot an das linke Ufer. Hier betrug die Wassertiefe noch zehn Meter, genug also, um auch ein Versorgungsschiff bis an die zukünftigen, aus dem Eis gehauenen Kaianlagen heranzuführen.
Karasow, für die Pläne der neuen Stadt im Eis verantwortlich, schlug begeistert die Hände zusammen. »Das übertrifft alles!« rief er aus. »Ungeheuerlich ist das! Hier kann man sogar die wildesten Winterstürme gemütlich überleben. Welche Möglichkeiten …«
Eine halbe Stunde später stand die Mannschaft der ›Gorki‹ in Paradeuniform auf dem Deck. Die Männer zitterten vor Frost, aber sie waren unendlich stolz, diese Stunde miterleben zu können. Malenkow war allein auf das Eisufer gestiegen, an den Stiefeln spitze Eisnägel, er hielt die Fahne der Sowjetunion in der Hand, hob sie hoch und grüßte das Boot. Die Bordkapelle spielte wieder die Nationalhymne, die
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