Duell im Eis
gesprengt, rissen die Explosionen ganze Eiswände heraus und schufen weite Höhlungen, und es war wirklich so, wie es Karasow vorher erklärt hatte: Bei einer Höhe des Eisbergs von 421 Metern waren dies Sprengungen, als stäche eine Mücke auf einen Elefanten ein. Der Berg merkte es gar nicht. Und 156,8 Kilometer entfernt war auch das Explodieren nicht zu hören; es blieben dumpfe Laute in der Riesenhöhle des überdachten Fjords.
Vizeadmiral Schesjekin war sehr zufrieden mit seinen fleißigen Genossen. Was sie in diesen vier Monaten geschaffen hatten, war wert, ein kleines Weltwunder genannt zu werden. Die ›Nadeshna‹ war von neuen Versorgungsschiffen abgelöst worden, in einem Seitenarm des Roosevelt-Fjords lagen zwischen hohen Eisschollen und bizarr gezackten Eisbergen die weiß gestrichenen Schiffe geradezu unsichtbar im offenen Wasser, und jedes Nachschubschiff wurde noch auf hoher See, an der Grenze zum Treibeis, mit seinem Tarnanstrich versehen und wurde damit auch für die scharfen Satellitenkameras der US-Überwachung unentdeckbar, ein weißer Punkt in einem weißgesprenkelten Meer.
Admiral Sujin schickte einen Glückwunsch über Funk an Schesjekin, und aus Moskau meldete sich General Wisjatsche und nannte Schesjekin ›Mein lieber Wladimir Petrowitsch‹. Wen erfreut so etwas nicht?
Nach zwei Monaten langweiliger Wartezeit – denn einmal waren auch die Witze und Kunststückchen von Unterleutnant Temjun erschöpft, und auch was er sang, war nach zwei Monaten immer dasselbe, und wer kann acht Wochen lang immer die gleichen 20 Arien und 14 wehmütigen Steppenlieder hören? – durfte Ljuba Alexandrowna Berreskowa endlich mit einem U-Boot zum Eisberg fahren.
Viel hatte sie von der ›Morgenröte‹ gehört. Die von der Baustelle auf das Versorgungsschiff zurückkehrenden Soldaten, meistens Verletzte oder Kranke, auch einige mit Erfrierungen an den Händen oder den Zehen, berichteten entweder begeistert von der im Eis entstehenden Stadt, oder sie verfluchten den Berg, der ihnen unheimlich vorkam, ein Koloß aus Eis, der unberechenbar war und sich einmal dafür rächen mußte, daß man seinen Leib Stück um Stück zerfetzte.
Jurij Adamowitsch Malenkow wurde nicht ausgetauscht. Er blieb im Berg. Als er vor vier Monaten zur ›Nadeshna‹ zurückgekehrt war, mit den Fotos des Flaggensetzens im Eis und mit hervorragenden Messungen vom Meeresboden und dem Fjord, war er empfangen worden, als käme er von einer Kriegsfahrt zurück und habe eine Menge Schiffe versenkt. Die Bordkapelle spielte von ›Schwarze Augen‹ über ›Das Glöckchen‹ bis zu den ›Wolgaschleppern‹ alles, was man an volkstümlichen Liedern kannte, Schesjekin umarmte und küßte den Helden Malenkow und kündigte ihm einen hohen Orden an, den Admiral Sujin versprochen hatte, ein Festessen gab es, daß die Bäuche schwollen, Oberleutnant Nurian tanzte einen wilden Krakowiak, was ihm niemand zugetraut hätte, die Professoren Kratjinzew und Donkow mußten volltrunken abgeschleppt werden, nur jemand fehlte und blieb auch unsichtbar in den nächsten Tagen: die Berreskowa.
Vizeadmiral Schesjekin, der in den vergangenen langen Wochen Malenkow gegenüber so etwas wie ein väterlicher Freund geworden war, rief zwei Tage nach diesem triumphalen Empfang Malenkow zu sich. »Jurij Adamowitsch«, sagte er in besorgtem väterlichen Ton, »rühren wir nicht lange im Brei herum: Was haben Sie Ljuba Alexandrowna getan? Sie kommt nicht zum Frühstück, nicht zum Mittagessen, nicht zum Tee, nicht zum Abendessen, sie schließt sich ein, und Pralenkow muß ihr alles in die Kabine bringen. Sie sitzt da und schreibt oder liest oder hört Schallplatten, sagt er, hat einen Morgenrock an und gibt auf Fragen keine Antwort. Einfach keine Antwort! Ein paarmal habe ich versucht, zu ihr hineinzugehen – sie macht nicht auf! ›Täubchen‹, habe ich durch die Tür gerufen, ›sagen Sie einem alten Freund, was Sie bedrückt! Schütten Sie Ihr Herz aus. Ein guter Beichtvater bin ich, glauben Sie es mir. Über alles läßt sich reden …‹ Aber nein, sie gibt keine Antwort, und sie schließt auch nicht die Türe auf. Jetzt frage ich Sie, Jurij Adamowitsch: Was ist passiert?«
»Nichts, Genosse Admiral.«
»Kann dieses ewige Eis, kann diese Einsamkeit sie schwermütig machen?«
»Das müssen Sie Ljuba fragen.«
»Sie gibt ja keine Antwort.« Schesjekin beugte sich etwas vor. Seine Augen in dem dicken, runden Gesicht blickten voll Traurigkeit. »Sprechen Sie mit
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