Duell im Eis
besserten den weißen Anstrich aus, ein zweites U-Boot machte sich bereit zum Auslaufen, aber was Ljuba erwartet hatte, womit sie ganz sicher gerechnet hatte, ließ sich nicht blicken. Auch als die ›Puschkin‹ anlegte und die Taue straff gespannt waren, als zwei Matrosen den eisernen Laufsteg auf das glatt gehobelte Eisplateau schoben und vier andere Offiziere zur Begrüßung an Bord kamen, blieb der Erwartete unsichtbar.
»Willkommen in ›Morgenröte‹«, sagte ein junger Oberleutnant, hob zackig die Hand an die Pelzmütze und ließ seinen Blick bewundernd über Ljuba gleiten. »Ihr Haus ist fertig, Genossin. Sehen Sie, dort die weite Höhle, das zweite Haus links vom Weg, da werden Sie wohnen. Den Standpunkt Ihres Forschungsgebäudes sollen Sie selbst bestimmen. Das Heizwerk ist noch nicht in Betrieb, zwei Monate wird's noch dauern, aber Sie haben einen zentralen Ölofen im Haus, der alle Räume heizt. Auch eine eigene Banja haben Sie, im Anbau.«
Eine Banja, ein eigenes Dampfbad, im Leib eines Eisberges. Kein Märchen konnte so phantastisch sein.
»Atemraubend ist das alles«, sagte sie und stieg über den eisernen Laufsteg auf den festen Boden aus Eis. »Man sieht es und begreift es dennoch nicht.«
»In vier Monaten werden Sie noch mehr staunen.« Stolz klang in der Stimme des jungen Oberleutnants wider. »Wenn alles fertig ist, wird es ein neues Weltwunder sein. Wir alle sind glücklich, hier mithelfen zu dürfen.«
Noch einmal sah sich Ljuba nach allen Seiten um, bevor sie dem Offizier zu ihrem Haus folgte. Kein Malenkow. Er versteckt sich, dachte sie. Bist ein Feigling, Jurij Adamowitsch! Der große Held der Sowjetunion läuft vor einer Frau davon, verkriecht sich irgendwo, beobachtet vielleicht durch eine Ritze, daß ich angekommen bin. Wirst mir nicht immer aus dem Weg gehen können, Genosse Kapitän. Eine winzige Stadt wird ›Morgenröte‹ sein, und wir werden Jahre hier leben. Jahre, mein feiger Jurij! Oder wirst du zurück nach Rußland flüchten? Zurück nach Sachalin? Komm heraus!
»Ein schönes Häuschen«, sagte sie, als sie sich in ihrer neuen Behausung umgesehen hatte. Der Ölofen brannte, ein einfaches, rundes, eisernes Ding mit einem 10-Liter-Tank. Daneben stand ein Kanister zum Nachfüllen. Um es in den anderen Zimmern – es waren drei im ganzen – auch warm zu haben, mußte man die Türen offenstehen lassen. Nur diesen einen Ofen gab es, aber seine Wärme genügte. Der Anbau, die Banja, war eisig kalt. Auch hier stand ein Ölofen, mit einem halbhohen, oben flachen Umbau aus in Jahrtausenden glatt geschliffenen Steinen. Man hatte sie von der Sturge-Insel mitgebracht, Urgestein, das die Hitze speicherte und das Wasser sofort verdampfte, wenn man es über den Ofen schüttete.
»Wenn das Heizwerk fertig ist, Genossin«, erklärte der junge Oberleutnant, »werden alle Häuser an die Fernheizung angeschlossen. Dann können Sie sogar zwei Öfen in die Banja stellen.«
»Mir gefällt es hier.« Die Berreskowa lehnte sich gegen die holzverschalte Wand. Alle Zimmer waren eingerichtet, zwar einfach, aber dennoch wohnlich. Im Wohnzimmer gab es einen länglichen Tisch mit einer Sitzbank dahinter, drei massive Stühle, eine Art Büffetschrank und ein offenes Regal. Im Schlafzimmer stand ein Bett, zwei kleine Tischchen und ebenfalls ein Stuhl sollten Gemütlichkeit verbreiten, ein zweitüriger Kleiderschrank nahm die Querwand ein, aber die wirkliche Überraschung war das Bild zwischen Fenster und Ecke, ein eingerahmtes großes Foto, das Gorbatschow mit seinem freundlichen Blick zeigte.
Der junge Offizier fing Ljubas Blick auf und lächelte hintergründig. »Es ist ein Wechselrahmen, Genossin, für alle Fälle.«
»Das ist es nicht. Wer auch immer in Moskau regiert, ich habe weder den Genossen Gorbatschow noch einen anderen gern in meinem Schlafzimmer, und auch noch mit einem Blick direkt auf mein Bett.«
»Ein Foto wird nicht aus dem Rahmen springen«, sagte der Oberleutnant etwas anzüglich.
»Diskutieren wir nicht darüber, Genosse. Hängen wir das Bild in das Wohnzimmer.«
Es war plötzlich ein Ton in ihrer Stimme, der den jungen Offizier zur Vorsicht mahnte. Stumm nickte er, nahm das Foto vom Haken und klemmte es unter den Arm.
Zwischen Schlafzimmer und Wohnraum lag eine kleine, schmale Küche, die durch die beiden Türen und das Fenster noch kleiner wirkte. Sie war noch leer; solange an ›Morgenröte‹ noch gebaut wurde, versammelten sich alle zu den Mahlzeiten in einer Kantine,
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