Duell im Eis
einfach nicht zu treffen. Immer drehte sich das Messer und knallte nur mit dem Holzgriff darauf.
»Blau ist es immerhin«, sagte Malenkow erschöpft und sank auf sein Bett. »Wer kann schon sagen, daß er Schesjekin ein blaues Auge geschlagen hat?«
An dem Morgen, an dem der Sturm vorbei war, rief er sofort bei der U-Boot-Basis an und wartete ungeduldig, bis sich Schesjekin meldete.
»Mein lieber Jurij Adamowitsch«, sagte der Vizeadmiral mit – so nahm es Malenkow auf – widerlich schleimiger Freundlichkeit, »Sie können zurückkommen. Ein herrlicher Tag ist hier! Ich befehle: Alle Boote hierher! Die ›Gorki‹ wird mit Verpflegung beladen, ›Puschkin‹ und ›Tolstoi‹ nehmen so viel Bau- und Ausrüstungsmaterial mit, wie hineingeht. Nutzt jeden Winkel aus! Wir brauchen vor allem Ersatzteile für die Maschinen, die Bagger, Räumer und Traktoren. Genosse Karasow hat eine lange Liste; er wird sie Ihnen vorlesen, Jurij. Ja, und noch etwas: Bringen Sie für die Genossin Berreskowa Süßigkeiten mit. Schokolade, Pralinen, was sie da haben. Kandierte Früchte, Marmeladen, Honig … Ljuba Alexandrowna ist ein Leckermäulchen, das wissen Sie doch, Malenkow.«
»Ich werde mich bemühen, Genosse Admiral.«
Malenkow schaltete das Tonbandgerät ein, begrüßte kurz Ingenieur Karasow und ließ ihn dann die lange Wunschliste aufs Band sprechen. Als er sie hinterher abhörte, griff er sich an die Stirn und seufzte laut. Um Karasows Wünsche zu erfüllen, brauchte man zehn U-Boote, was nichts anderes bedeutete, als daß in den nächsten Wochen sämtliche Boote der ›Morgenröte‹ mit Pendelverkehr unter Wasser beschäftigt waren. Für Ljuba würde keine Zeit übrig bleiben. Man mußte sich weiter mit Träumen behelfen.
Dennoch gelang es Malenkow, nach drei Tagen schon einen Motorschlitten mit Raupenantrieb von den Arbeitskolonnen abzuziehen und hinauszufahren in die Eiswüste. Schesjekin selbst hatte ihm Urlaub gegeben, die ›Gorki‹ lief erst in drei Tagen wieder aus, und Malenkow tat innerlich Abbitte, daß er dem Bild des Vizeadmirals ein Auge ausgeschlagen und das andere blau geschlagen hatte. »Der blinde Zorn, Genosse«, sagte er lautlos. »Verzeihung. Aber wer so viel im Traum gesehen hat wie ich … Der Mensch ist schwach, kann ich's ändern?«
Auf dem Weg zu Ljuba, in der völligen Stille um sich herum, in dieser eisigen Einsamkeit zwischen Eisspitzen und Gletscherspalten, hielt er plötzlich an und stellte den Schlittenmotor ab. Sein vorzügliches Gehör hatte einen anderen Ton aufgenommen, und jetzt, die Lautlosigkeit um sich, glaubte er weit, weit weg, hergetragen von dem Wind, ein Geräusch zu hören, das wie ein Knattern klang.
Malenkow hob den Kopf, schob die Fellmütze etwas nach hinten, legte ein Ohr frei und lauschte angestrengt: Ganz in der Ferne ertönte ein Surren und Knattern, das Malenkow – verrückter Gedanke – an einen Hubschrauber erinnerte. Er setzte sich auf die heiße Motorhaube, schob die Fellmütze wieder über seinen Kopf zurück und rückte die fast schwarze Sonnenbrille zurecht. Die Strahlung des in der Sonne glitzernden Eises war so stark, daß die Augen ohne Schutz in kurzer Zeit erblinden konnten.
Malenkow sah auf den Kilometerzähler und den Kompaß seines Schlittens. Ungefähr 30 Kilometer war er von der U-Boot-Basis entfernt und vielleicht 15 von Ljubas Haus am Meer. Um zu ihr zu kommen, mußte er viele Spalten und Eissäulen umfahren und in einem großen Bogen auf der linken Seite des Berges den Weg durch das Eistal erreichen, das bei Ljubas Plateau endete.
Aber obwohl er sich einen Spinner nannte, die absolute Stille war gestört. Es blieb dieses Geräusch in der Luft, dieses helle Knattern, das Malenkow gut kannte.
Er überlegte kurz, warf dann den Motor wieder an und änderte die Richtung. Statt zu Ljuba versuchte er dem Geräusch entgegen zu fahren, holperte über ein Eisfeld, das wie ein riesiges Waschbrett aussah und das ihn an seine Großmutter erinnerte, die noch am Ufer des Dnjepr auf einem Stein kniete, die Wäsche über ein Brett nibbelte, sie dann im Fluß hin und her schwenkte und auf einem flachen, sauberen Stein ausschlug. Hinter der gewellten Eisebene erhoben sich wieder die bizarren Eisspitzen, dicht zusammenstehend und so eine unüberwindliche Eiswand bildend. Und hinter dieser Wand erklang jetzt deutlich das Motorengeknatter, verbunden mit einem hellen Pfeifen.
Malenkow hielt wieder an und wischte sich mit seinen Fellhandschuhen die Eiskristalle
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