Duell im Eis
aus dem Gesicht. Ein Hubschrauber auf der ›Morgenröte‹! Woher kommt hier ein Hubschrauber? Er verfluchte seine Nachlässigkeit, keinen Funksprechapparat mitgenommen zu haben, weil Ljuba ja einen auf ihrer Station besaß, und wozu brauchte man Funk, wenn man den Weg zu seiner Liebsten so genau kannte wie er?
Er war noch mit seinen Selbstvorwürfen beschäftigt, als ein lautes Krachen die Stille zerriß. Wie eine sichtbare Wolke, so geballt, trieb der hallende Schlag auf ihn zu, und Malenkow duckte sich instinktiv hinter seinen Schlitten, als gälte ihm der Abschuß einer Kanone. Dann war es wieder still, völlig still, eine bedrückende Lautlosigkeit nach einem Geräusch des Lebens.
»Jurij Adamowitsch, da ist etwas passiert!« sagte Malenkow laut, vor allem um die Stille aufzubrechen und seine Beklommenheit zu verjagen. »Da war ein Hubschrauber, und der ist abgestürzt. Es ist verrückt, so was zu denken. Man wird dich auslachen, wenn du das später erzählst; aber was soll es anderes gewesen sein? Jurij Adamowitsch, steh nicht dumm rum, sieh nach!«
Er brauchte drei lange Stunden, um einen Weg durch die Eiswand zu finden, mußte inmitten der gezackten Säulen den Schlitten zurücklassen und arbeitete sich zu Fuß durch die Eisschluchten. Als er endlich wieder ein freies Feld vor sich sah, genau so waschbrettähnlich wie die hinter ihm liegende Ebene, blieb er zunächst stehen, schabte den festgefrorenen Schweiß von seinem Gesichtsschutz und von der Schneebrille und mußte dabei die Augen schließen. Als er sie wieder öffnete, lagen vor ihm die verstreuten Trümmer eines Hubschraubers, die halbe Glaskanzel, die zerfetzten Rotorflügel, das verbogene und abgerissene Gestänge, die Türen, das Dach und das Heck mit der Steuerschraube. In der zerborstenen Glaskanzel lagen zwei dunkle Klumpen aus Pelz, und Malenkow wußte, daß es Menschen waren.
Mit langen Schritten und Sprüngen, soweit das möglich war, rannte er hinunter zu dem Wrack und blieb erschrocken, ja entsetzt stehen, als sich der eine Fellklumpen bewegte, ein Kopf hervorkam und zwei Augen ihn anstarrten. Mit einem Satz sprang der Körper auf die Beine, riß die Pelzmütze vom Kopf, und schwarze lockige Haare fielen über das schmale Gesicht.
Eine Frau! Hier auf dem Eisberg eine Frau, abgestürzt mit einem Hubschrauber! Malenkow schüttelte den Kopf, stieß den Atem aus und stellte erleichtert fest, daß er den Atemnebel sah und also nicht mit offenen Augen träumte. Er kam noch einen Schritt näher und sagte höflich: »Ich bin Jurij Adamowitsch Malenkow. Haben Sie sich verletzt? Wo kommen Sie her?«
Er wartete auf eine Antwort, aber die Frau hob nur bedauernd die Schultern und schüttelte den Kopf. Malenkow ging an ihr vorbei, kniete sich neben das andere Fellbündel und sah, daß es ein blutbedeckter toter Mann war. Als er sich wieder aufrichtete und sich umblickte, stand die Frau hinter ihm und hatte einen Revolver in der Hand. Aber sie zielte nicht auf ihn, ihr Arm hing schlaff zu Boden.
Malenkow hob seine Hand und zeigte auf sich: »Ja … Russki … Ty …?«
Sie verstand seine Geste und antwortete mit tonloser Stimme: »Ich bin Amerikanerin.«
Durch Malenkow zog es wie ein heißer Strom. Amerikaner? Die Amerikaner auf dem Eisberg? Ein Zufall nur? Kamen sie von McMurdo, um neugierig den Eiskoloß zu überfliegen? Aber von McMurdo bis zum Berg, mit so einem kleinen Hubschrauber, das überstieg die Reichweite des Flugzeugs und war unmöglich. Wo also kamen sie her? Was wollten sie hier?
»Ty … Amerikanski?« fragte er, um ganz sicher zu gehen.
»Ja. Ich heiße Virginia Allenby.« Sie musterte Malenkow jetzt mit forschenden Augen und dachte das Gleiche wie er. »Was machen Sie hier auf dem Eisberg? Sie sind ein Russe? Wieso kommen Sie hierher, und dann noch zu Fuß?«
Das ist englisch, dachte Malenkow. Ich kann zwar kein Englisch, aber ich hör's am Klang. Ein amerikanischer Hubschrauber … Schesjekin wird der Schlag treffen. Er blickte sich wieder um, erkannte an einem weggefetzten Stück der Verkleidung das amerikanische Hoheitszeichen, einen Stern, und wußte in diesem Augenblick, daß der Hubschrauber eine Militärmaschine gewesen war.
Die amerikanische Luftwaffe auf der ›Morgenröte‹! Wieder durchrann es heiß Malenkows ganzen Körper, und er konnte nicht stehenbleiben, er mußte sich bewegen und seine Erregung ablaufen. Ein paarmal umkreiste er die zerborstene Glaskanzel, verfolgt von Virginias Blicken. Warum kommen sie
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