Duell im Eis
mitgebracht?«
»Sie ist abgestürzt.«
»Ist das ein Grund?«
»Allein wäre sie erfroren, verhungert. Ich habe ihr das Leben gerettet.«
»War das nötig, Genosse?«
Malenkow senkte den Blick und schwieg. Zum erstenmal empfand er eine Kluft zwischen sich und Schesjekin, einen Abgrund, den man nicht überspringen konnte. Zwar verstand er diese Härte – ein Fremder hatte jetzt die Basis der sowjetischen U-Boote gesehen –, aber es war eine Frau, und er wehrte sich innerlich dagegen, eine Frau so zu behandeln wie einen gegnerischen Soldaten.
»Es war nötig«, sagte Malenkow, als Schesjekin offensichtlich auf eine Antwort wartete. »Der abgestürzte Hubschrauber war ein amerikanisches Militärflugzeug.«
Schesjekin kratzte sich wieder die fleischige Nase, musterte Virginia wie eine zum Verkauf angebotene Stute, ging um seinen Schreibtisch herum und setzte sich. Die Gewißheit, daß auch die Amerikaner ein Interesse an dem Eisberg hatten, veränderte die gesamte Situation von ›Morgenröte‹. Was wußten die Amerikaner bereits? Wo war der Hubschrauber gestartet? Schliefen die elenden Fettärsche von der Satellitenüberwachung? Ha, wie konnte man jetzt Admiral Sujin in die Suppe spucken, und die Genossen Generäle Wisjatsche und Koronjew, diese Hochmütigen in Moskau, sollten rote Ohren bekommen. Hier hieb man eine ganze Stadt aus dem Eis, baute einen Hafen für zehn U-Boote, und was tat man in der Heimat? Man fraß, soff, hurte und schlief, und heimlich ist der Amerikaner da!
Malenkow zuckte wie unter einem Schlag zusammen, als Schesjekin plötzlich sagte: »Ljuba Alexandrowna soll sofort kommen. Rufen Sie sie sofort herbei, Jurij Adamowitsch!«
»Ljuba? Warum soll Ljuba kommen?«
»Sie spricht Englisch! Das weiß ich. Sie ist die einzige, die mehr erfahren kann. Los, Jurij, lassen Sie die Genossin Berreskowa kommen.«
»Und was soll mit Miß Allenby geschehen?«
»Sie bleibt bei mir. Über ihr weiteres Schicksal wird Moskau entscheiden.«
Malenkow nickte. Er wandte sich an die in ihrem dicken Pelz schwitzende Virginia und sagte auf deutsch: »Ausziehen!«
Virginia preßte die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. »Nein! Ich ziehe mich nicht aus. Nur mit Gewalt …«
»Mantäll ausziehen!«
»Ach so! Danke.« Sie knöpfte den Pelz auf, streifte ihn ab, ließ ihn auf die Holzdielen fallen und öffnete auch die ersten drei Knöpfe ihres Daunenoveralls.
Schesjekin sah sie mit offenem männlichen Interesse an und stellte fest, daß es eine Schande war, sie als einen Gegner zu behandeln. Er winkte zu einem Stuhl hin, und als sich Virginia setzte, nickte er ihr freundlich zu. Sie war vorsichtig genug, es als ein hilfloses Grinsen anzusehen, weil es zwischen ihnen keine Unterhaltung geben konnte. In solchen dummen Situationen ist ein Lächeln wie eine schmale Brücke von Mensch zu Mensch.
Malenkow und Nurian hatten das Zimmer verlassen, um über Funk Ljuba zur Basis zu rufen. In drei Stunden konnte sie hier sein, wenn das schöne Wetter auch am Nachmittag anhielt und sie sofort mit ihrem Motorschlitten losfuhr. Schesjekin war allein mit Virginia in dem überheizten Zimmer und grübelte angestrengt darüber nach, wie man die Amerikanerin unterhalten konnte.
Zunächst einen Wodka, dachte Schesjekin. Wodka ist immer gut und nützlich. Wodka beweist die Gastfreundlichkeit, macht bei ökonomischem Verbrauch einen klaren Kopf und löst die Zunge, wenn man ein Gläschen zu viel getrunken hat. Und dann Gebäck. Wodka und Gebäck sind Bruder und Schwester. Oder, eine alte sibirische Weisheit: Wer bei Wodka ißt, merkt nicht, wieviel er trinkt.
Schesjekin grinste Virginia wieder an, drehte sich im Schreibtischsessel herum und ließ seine Faust gegen die Holzwand donnern. Sekunden später stürzte Obermaat Pralenkow ins Zimmer, erstarrte, als sein Blick auf Virginia fiel, blickte dann seinen Admiral an und fragte sich, wo der Genosse hier am Südpol eine zweite Frau hatte ausfindig machen können. Die Möglichkeiten eines Admirals schienen unbegrenzt.
»Nikolai Fedorowitsch«, sagte Schesjekin freundlicher als sonst.
Aha, einen guten Eindruck will er auf das schwarze Schwänchen machen, dachte Pralenkow.
»Wodka brauchen wir, Gebäck und zwei Gläser.«
»Zwieback, Genosse Admiral?«
»Gebäck!« brüllte Schesjekin. »Kuchen!«
»Kuchen!« Pralenkow stierte dümmlich auf seinen Admiral. »Wo gibt's hier Kuchen?«
»Sumkow, der Schweinehund, backt für sich immer einen Kuchen. Ich weiß es! Jeden Tag
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