Duell im Eis
schüttelte den Kopf. »Du sprichst Deutsch, Jurij?« rief sie erstaunt.
»Wennig … sehr wennig … von Schulle.«
»Ich auch wenig und vom College.« Sie lachte und warf den Kopf in den Nacken. »Ist komisch, was? Ein Russe und eine Amerikanerin … auf einem Eisberg … und sprechen Deutsch miteinander. Verstehst du, Jurij?«
»Ich alles verstähen, Virginia. Du woher kommen?«
»Und du?«
»Erst saggen du.«
»Aus San Francisco.«
»Du lachen überr mich.« Malenkow wandte sich beleidigt ab, gab mehr Gas und ließ den Raupenschlitten über das bucklige und gerillte Eis hüpfen. Und bei jedem Stoß dachte er: Wie schön sie lacht! Wie dunkel ihre Augen sind! Sie ist ganz anders als Ljuba Alexandrowna. Ein fröhliches Frauchen. Kein Teufelchen wie Ljubascha. Er seufzte, zog den Pelz dichter vor sein Gesicht und ließ den Schlitten weiter über das schimmernde Eis rasen.
Drei Stunden fuhren sie mit allen notwendigen Umwegen, kreuz und quer und um aufragende Eisspitzen herum. Virginia, die sich den Weg merken wollte, verlor schnell jegliche Orientierung, aber dann sah sie mit ungläubigem Staunen, wie zwischen wild gezackten Eissäulen und tiefen Gletscherspalten kleine graue Rauchwolken hervorquollen, die sich in dem immer wehenden Wind schnell auflösten und keinerlei Spuren hinterließen.
Am Einstieg zur U-Boot-Basis, einem ins Eis gesprengten und mit Aluminiumplatten ausgelegten Schacht mit einem Schrägfahrstuhl, den Chefingenieur Karasow genial konstruiert hatte und der die einzige Verbindung zur Oberfläche des Eisberges war, bremste Malenkow den Schlitten ab und half Virginia aus den Felldecken. »Virginia«, sagte er, wieder auf deutsch, »Augen zu bei dir. Verstähen? Du nix sähen … Ich dich an Hand nähmen.«
»Warum?« fragte sie und sah sich um. Der Qualm aus den Löchern im Eis roch nach Heizöl. Hatten die Russen im Eis ein Lager gebaut? Hatten sie sich in den Berg eingegraben? Wenn sie Heizöl hatten, mußten sie auch versorgt werden. Wer versorgte sie?
»Großes Geheimnis …« Malenkow nickte ihr ermutigend zu. »Du nix Angst habben.«
»Ich habe keine Angst, Jurij.«
»Sähr gutt!« Malenkow nahm seinen Gesichtsschutz ab und band ihn Virginia um die Augen. Sie sah wirklich nichts mehr, nur die Nässe des Felltuches rann ihr über das Gesicht. Sie streckte die Hand aus und atmete auf, als sie Malenkows Griff spürte.
»Gähen!« sagte er und streichelte plötzlich über ihre Pelzmütze, was sie aber nicht spürte, denn sie war mit Eiskristallen übersät. »Gähen langsam … Ich dich fästhalten …«
An Malenkows Hand tappte Virginia vorwärts, spürte plötzlich eisfreien, festen Boden unter sich, hörte ein dumpfes Summen, wurde in irgendeinen Raum geschoben, eine Tür schloß sich mit einem schmatzenden Laut, und dann hatte sie das Gefühl, gefahren zu werden, begleitet von einem leisen Schütteln.
Das ist mehr als ein einfaches Lager, dachte sie erschrocken. Das hört sich an wie eine Zahnradbahn. Eine Zahnradbahn, die in den Eisberg hineinführt? Wo bringt mich Jurij hin? Was haben die Russen hier gebaut? Warum hat unsere Satellitenüberwachung nichts gesehen?
Mit einem hellen Knirschen hielt die Kabine, Malenkow griff wieder nach ihrer Hand und zog sie heraus. Wieder ließ sie die Stiefel über den Boden gleiten: Kein Eis, eher wie Holzdielen fühlte es sich an.
»Jetzt kommt Träppe«, sagte Malenkow. »Ich sagä: Eins – zwei … Das ist Stufä … Du nix fallen, ich dich fästhalten.«
Es ging abwärts, eins-zwei, eins-zwei, zweiundzwanzigmal eins-zwei, 22 Stufen also. Virginia zählte sie und umklammerte Malenkows Hand. Dann knirschte wieder eine Tür, und plötzlich war sie von Geräuschen umgeben, von brummenden Motoren, kreischenden Sägen, Hämmern und dem Quietschen von Kränen, Raupenkettenrasseln und Klopfen und einem vielfältigen Stimmengewirr. Ein paar Rufe konnte sie verstehen, es war Russisch.
Mein Gott, dachte sie, keiner von uns weiß es: Die Sowjets haben eine Stadt unter dem Eis! Sie haben sich in den Berg gebohrt, und niemand hat es gemerkt und gesehen. Wie sicher war sich General Seymore, allein auf dem Eisberg zu sein. Amerikas größtes Geheimnis, und nebenan, als Nachbar, ist schon der Russe eingezogen. Wie ist diese Blindheit möglich?
Malenkow, noch immer Virginia mit ihren verbundenen Augen an der Hand führend, blieb stehen. Er sah von der Pier II Oberleutnant Nurian kommen und winkte ihm zu. »Nix Angst«, sagte er wieder beruhigend zu
Weitere Kostenlose Bücher