Dünengrab
herrschte Schweigen, das Ruven schließlich durchbrach: »Okay, ich will euch nicht aufhalten. Femke und ich«, sagte er, an Tjark gewandt, »sind uns gerade nur zufällig über den Weg gelaufen. Ich wollte zum Boot, und ihr habt sicher zu tun.« Er beugte sich nach unten und nahm eine Plastikkiste in beide Hände, in der sich verschiedene Packungen mit Fertiggerichten und zwei Flaschen Wein befanden. »Ich hoffe, das mit Vikki klärt sich schnell auf«, fügte er hinzu.
Tjark zog ein letztes Mal an der Zigarette und schnippte sie weg. »Vikki?«
Ruven zuckte wie zur Entschuldigung mit den Schultern. »Werlesiel ist ein Dorf.«
Tjark hörte Femke seufzen. Sie betrachtete ihre Schuhe. »Torsten, mein Kollege von der Wache«, erklärte sie. »Er hatte anscheinend nichts Besseres zu tun, als mit den Neuigkeiten im Ort hausieren zu gehen.«
»Großartig«, sagte Tjark ironisch und dachte, dass er auf Polizisten wahrlich verzichten konnte, die sich mit ihrem Insiderwissen großtaten und auf eigene Kappe Zeugenbefragungen vornahmen.
»Einerseits muss man ihm alles aus der Nase pulen, andererseits ist er eine Tratschtante.« Femke blickte wieder auf. »Tut mir leid, ich werde ihn deswegen zur Rede stellen. Aber du wolltest ohnehin eine öffentliche Suchmeldung herausgeben. Dann weiß es eh jeder.«
Tjark versuchte ein Lächeln. »Schon okay.« Dann verabschiedete sich Ruven. Tjark und Femke stiegen in den Wagen und fuhren los, als die Straßenlaternen gerade eingeschaltet wurden.
13
Eine Zeitlang schwiegen sie. »Wie bist du eigentlich auf die Idee mit dem Buch gekommen?«, platzte es dann aus Femke heraus.
Eine gute Frage. Trotzdem eine Frage, die ihm gewiss schon hundertmal gestellt worden war. Meist antwortete er darauf, dass er einige interessante Fälle hatte festhalten wollen. Dass der Verlag, dem er das Manuskript eher aus Spaß geschickt habe, ihm wider Erwarten einen Vertrag statt einer Standardabsage zurückgeschickt habe, und so sei aus Spaß die Möglichkeit erwachsen, vielen Menschen zu zeigen, was die Polizei so leistete.
Die Wahrheit war eine andere. Nachdem Sabine ihn betrogen hatte, hätte er sich die Nächte im Präsidium um die Ohren schlagen oder sich jeden Abend volllaufen lassen können. Stattdessen hatte er sich hingesetzt und die Leere mit Schreiben gefüllt. Das Aufrollen der alten Fälle führte ihm vor Augen, dass es so etwas wie Gerechtigkeit gab, zu der er als Ermittler seinen Teil beisteuerte, und das hatte gutgetan. Aber das sagte er Femke nicht. Er sagte lediglich: »Mir war langweilig.«
Femke schien ein Schmunzeln zu unterdrücken. »Ich habe das Buch regelrecht verschlungen. Es ist so eine Art Bibel für mich geworden.«
»Das ist zu viel der Ehre.«
»Es war das richtige Buch zur richtigen Zeit, meine ich damit. Ich hatte gerade überlegt, zur Kripo zu gehen – da fiel es mir in die Hände. Ich wollte das tun, was du auch getan hast.«
Tjark sah aus dem Seitenfenster. Nein, dachte er, ich glaube, das willst du nicht.
»Tut mir wirklich leid wegen Torsten«, entschuldigte sich Femke noch einmal. »Er ist ein Waschweib und macht sich gerne wichtig.« Sie schlug halbherzig mit dem Handballen auf das Lenkrad. »So ist es nun mal in Werlesiel. Es ist ein Dorf, und ich konnte mir meine Leute nicht aussuchen.«
Tjark sah Femke von der Seite an. Sie hatte das Profil von Grace Kelly. »Niemand macht dir einen Vorwurf.« Er blickte wieder nach vorne. »Du meinst es ernst mit der Kripo?«
Femke zögerte einen Moment. »Ja und auch nein. Es ist schwierig. Ich würde gerne wechseln, aber das würde auch bedeuten, dass ich fortmüsste. Ich bin hier geboren und aufgewachsen, und ich habe schon in der Ausbildung gespürt, dass Werlesiel mich einfach nicht loslässt.«
»Wer sich bewegen will«, sagte Tjark, »muss einen Fuß vor den anderen setzen.«
»Ist das eine Zen-Weisheit?«
»Nein. Habe ich mal in einem Fantastic-Four-Comic gelesen.«
Femke lachte schallend. »Spielt da nicht dieser Gummimann mit?«
Tjark nickte. »Mr. Fantastic, Reed Richards. Er kann dich auf große Distanz umschlingen und festhalten – so wie Werlesiel dich.«
Femke setzte den Blinker und bog auf die Bundesstraße.
Tjark fragte: »Dein Mr. Fantastic ist dieser Ruven, nehme ich an?«
»Er war es mal. Wir sind Freunde geblieben.«
»Aber es ist doch wohl nicht dieses Pferd …«
»Bitte?« Femke machte große Augen.
»Du reitest, wie man unschwer an deiner Reithose erkennen kann. Viele Freizeitreiter
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