Dünengrab
Knöpfen.
Gerade war eine Brauereibesichtigung zu Ende gegangen. Die komplette Schadensabteilung einer kirchlichen Versicherung aus Bremen war im Bus angereist und hatte sich mit Proben der Werlesieler Braukunst sowie hochprozentigem Bierbrand die Falten im Gehirn glatt gebügelt. Mommsen hatte dazu die gewohnten Anekdoten zum Besten gegeben und erzählt, wie sein Urgroßvater als Bierkutscher begonnen und das erste »Werlesieler« in einer umgebauten Räucherei gebraut hatte. Stolz endete er damit, dass er selbst das Familienunternehmen nunmehr in der vierten Generation führte und rund hundertfünfzigtausend Hektoliter »Werlesieler« jährlich auf etwa fünf Millionen Flaschen abfüllte. Er erzählte nicht, wie viel er damit verdiente. Auch nicht, dass ihm mittlerweile der halbe Ort gehörte und ohne die Gewerbesteuern seines Unternehmens in Werlesiel vermutlich nicht mal eine Ampel stehen würde. Und schon gar nicht berichtete er davon, welche Anstrengungen es ihn Jahr für Jahr kostete, im Kampf gegen die Großbrauereien in einem extrem schwierigen Markt zu bestehen und die Selbständigkeit zu bewahren. Zumindest, solange er noch selbst am Steuerrad stand. Knut Mommsen hatte keine Kinder. Die Nichten und Neffen waren in seinen Augen Taugenichtse. Er würde einen Teufel tun und ihnen die Brauerei vererben. Früher oder später würde er das Unternehmen verkaufen müssen. Die Marke »Werlesieler« bliebe sicherlich erhalten, sie war im Norden gut eingeführt. Aber was blieb von ihm?
Natürlich wusste Mommsen, was von ihm bleiben sollte, schließlich war alles bereits bestens dafür vorbereitet. Nichts und niemand würde ihn aufhalten können – bis auf Fokko Broer, der völlig unvorhergesehen Mommsens Fahrrinne gekreuzt hatte. Dumme Sache, dachte Mommsen und fluchte innerlich. Eine wirklich dumme, dumme Sache, um die er sich nun dringend kümmern musste, damit kein größerer Schaden daraus erwuchs. Letztlich war alles nur eine Frage des Preises, denn das war es ja immer.
Mommsen hörte Schritte und drehte sich um. Carsten Harm und Jan Kröger kamen die Treppenstufen hinauf. Harm war ein langer Schlacks mit blondem Seemannsbart, dem im Ort das Tagungshotel Dünenhof mit angeschlossener Kegelbahn gehörte. Kröger war Regionalleiter einer Supermarktkette, wäre aber gut und gerne als Gebrauchtwagenhändler durchgegangen. Als Fraktionsvorsitzende der beiden großen Ratsparteien repräsentierten sie das, was man in Werlesiel unter Macht verstand. Tatsächlich besaß aber nur einer im Raum tatsächliche Macht.
»Und?«, fragte Mommsen.
Harm und Kröger sahen sich an wie begossene Pudel. »Nichts und«, sagte Kröger. »Wir haben mit Fokko tatsächlich ein Problem am Hals.«
»Pff«, machte Mommsen und spürte, wie sein Puls zu rasen begann. Wozu hatte er die ganze Bagage vor drei Tagen eingeladen und nach allen Regeln der Kunst abgefüllt? Wozu war er mit den beiden Nullen samt ihrem fetten Bürgermeister kürzlich auf einem Jagdausflug gewesen? Er musterte die beiden und stellte sich für einen Augenblick vor, sie jeweils mit einem Tritt in den Hintern in die Braukessel zu befördern und dabei zuzusehen, wie sie jämmerlich in dem Bier ertranken, das Jahr für Jahr Millionen in die Stadtkasse spülte. Aber Knut Mommsen beherrschte sich. Cholerisch gab er sich nie in der Öffentlichkeit, nur privat.
»Gut, dann regeln wir das eben auf meine Art«, sagte er mit gepresster Stimme, tippte eine Nummer ins Telefon und wartete eine endlose Minute, bis sein Gesprächspartner sich endlich meldete.
»Fokko Broer«, sagte Knut Mommsen, nachdem er sich vorgestellt hatte, »wir beide sollten uns dringend kennenlernen.«
16
Tjarks Leuchte tauchte einen Abschnitt der Sanddornhecke in Schwarzlicht. Als er näher heranging, fielen ihm einige abgebrochene Äste und niedergedrücktes Gras auf. Tjark zog die Kunststoffkappe von der Spraydose ab und nebelte den Bereich mit Luminolgemisch ein. Wenige Augenblicke später tauchten wie aus dem Nichts weiße Punkte auf dem Busch und dem Gras auf.
»Es ist Blut, nicht?«, hörte er die Stimme von Femke.
»Ja.« Er drehte sich um und ließ den Lichtkegel über die Fahrbahn tanzen. Er betrachtete den schwarzen Gummiabrieb auf dem Asphalt und überschlug die Reaktionszeit des Fahrers. Wenn hier, wo er stand, die Frau in die Hecke gestürzt war und zehn Meter weiter bereits die recht kurze Bremsspur begann, dann war der Fahrer höchstens mit Tempo dreißig unterwegs gewesen.
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