Dünengrab
nicht gesagt, wohin sie wolle. Als Vikki nicht nach Hause kam und weder ans Telefon ging noch auf SMS antwortete, habe sich Meike Schröder ernsthafte Sorgen gemacht. Vikki sei zwar immer mal wieder über Nacht weggeblieben, habe aber stets hinterlassen, wann sie wieder zurück sein werde, und sich auch daran gehalten – sie habe Meike gerne als »Back-up« bezeichnet, denn so ganz ungefährlich sei Vikkis Job ja nun nicht.
Tjark und Fred bestätigten diese Meinung und fragten Meike Schröder, ob sie eine Ahnung habe, wo Vikki stecken könne, ob es einen Freund gebe, Verwandte, ob sie regelmäßig Medikamente genommen habe und möglicherweise depressiv sei, was Meike Schröder insgesamt verneinte. Überhaupt wusste sie wenig Persönliches über Vikki.
Tjark hatte um aktuelle Bilder gebeten. Jetzt, auf dem Balkon, warf er einen Blick auf die Aufnahmen. Sie steckten in Klarsichthüllen und lagen aufgefächert auf dem kleinen Tisch. Ein Aschenbecher mit dem Logo der Werlesieler Brauerei beschwerte sie gegen den Wind.
Vikki Rickmers musste in einem Ort wie Werlesiel so auffallen wie ein rot-weiß lackierter Leuchtturm mitten auf dem Marktplatz. Die Bilder zeigten eine junge Frau, die sich älter geben wollte, als sie war, und auf Gothic-Schick stand. Vikki war schmal gebaut und klein, ihre Augen rehbraun, und sie sahen ebenso verschüchtert wie überrascht in die Kamera. Ein Blick, der Männer verrückt machen konnte und wahrscheinlich auch sollte. Ihre Haare waren lang und schwarz. Auf einigen Bildern trug sie Zöpfe oder hatte die Frisur wie Amy Winehouse toupiert. Dazu passten der schwarze Lidstrich, dunkel umrandete Augen und kirschrote Lippen. Sie schien wie Madonna am Anfang ihrer Karriere diverse Ketten und Armbänder zu mögen, geschnürte schwarze Bustiers oder fingerlose Spitzenhandschuhe. Ihre Nägel waren meist schwarz lackiert, oft trug sie enge, tief geschnittene schwarze Hosen, von denen Nietengürtel baumelten. So verschüchtert sie auf manchen Bildern blickte, so selbstbewusst und cool wollte sie auf anderen wirken. Doch immer, fand Tjark, sah sie etwas verloren aus, und das gehörte sicherlich nicht zur Pose. Er fragte sich nicht zum ersten Mal, was ein hübsches Mädchen dazu brachte, ihren Körper zu verkaufen, wischte den Gedanken aber wieder beiseite.
Tjark zog an der Zigarette und schob die Fotos zu einem Stapel zusammen. Von drinnen hörte er Freds Stimme, der sich am Telefon mit seiner Frau zu streiten schien. Sicher ging es um den Pyramidenbau. Offenbar hatte Fred heute Morgen unrecht gehabt: Greta schien sich keineswegs wieder einzukriegen. Das Kreischen einiger Möwen übertönte die Gesprächsfetzen. Tjark sah den Vögeln hinterher.
Nach dem Besuch bei Meike Schröder waren sie im Club 69 vorbeigefahren, der nicht nur deshalb so hieß, weil er an der Bundesstraße mit der Nummer lag. Die Ziffern sollten zudem einen Vorgeschmack dafür geben, was in seinem Inneren vor sich ging. Der Laden war wie eine Wellnessoase aufgemacht. An den Wänden hingen Bilder mit Stellungen aus dem Kamasutra. Verschiedene Kabinette waren verschiedenen Vorlieben vorbehalten. Tjark kannte solche Clubs, in denen Männern mit dem Etikett »Swingerclub« vorgegaukelt wurde, die hier anzutreffenden alleinstehenden Frauen seien Nymphomaninnen und kostenfrei flachzulegen. Tatsächlich waren die Einzeldamen eigens engagiert worden, damit sich herumsprach, dass hier haufenweise willige Weiber verkehrten – zum Beispiel Vikki Rickmers. Die Eintrittsgelder für Einzelherren waren entsprechend hoch, um die Sache zu finanzieren.
Der Clubbesitzer, ein sonnenverbrannter Glatzkopf aus Holland namens Bram van Gherwen, kannte Vikki und gab bereitwillig Auskunft. Er bestätigte, dass sie gelegentlich, wenngleich nicht oft, im 69 anzutreffen war und auf eigene Rechnung arbeitete. Er tolerierte das, weil er Vikki mochte. Van Gherwen sagte, dass er sie zweimal für Swingerabende gebucht, aber in den letzten vier Wochen nicht mehr gesehen oder gesprochen habe. Er konnte keine Namen von etwaigen Stammkunden nennen, weil Vikki seines Wissens keine gehabt habe. Tjark und Fred hatten keinen Anlass, seine Worte anzuzweifeln.
Sie glaubten auch Gesche Dittmann aus dem Sonnenstudio in Werlesiel. Ihre Haut war zu braun, um gesund zu wirken, und die Fingernägel mit zu viel Strasssteinchen beklebt, um geschmackvoll zu sein. Dittmann fragte Tjark, ob er dieser Schriftsteller sei, was Tjark bestätigte. Gesche meinte daraufhin, Torsten Nibbe
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