Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Duenenmond

Duenenmond

Titel: Duenenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Johannson
Vom Netzwerk:
unter einem fast orange strahlenden Vollmond zeigte. Es war ein Aquarell, das Jo vollkommen in seinen Bann zog. Nicht, dass es ihr etwa besonders gefallen hätte. Aber es handelte sich eindeutig um ein Lieblingsmotiv ihres Vaters. Damit nicht genug. Es war auch der Pinselstrich ihres Vaters, den sie zu erkennen glaubte.
    »Sie interessieren sich für das Bild?«, fragte die Galeristin, der der Pony wie mit dem Lineal gezogen diagonal über die Stirn lief.
    »Ja, das heißt, eigentlich nicht. Es ist nur …« Sie trat einen Schritt näher darauf zu. »Kennen Sie den Maler?«
    »Allerdings. Er ist ein begnadeter Künstler, wenn Sie meine Meinung hören wollen. Und ein ausgesprochen interessanter Mann noch dazu. Seine Werke haben sich immer gut verkauft.Leider hat er lange nichts mehr für mich gemacht. Seinen Namen darf ich Ihnen bedauerlicherweise nicht verraten. Darauf besteht er.«
    Josefine hörte ihr kaum noch zu. Sie starrte auf das Signum: ON. Otto Niemann, ihr Vater. Es musste so sein. Eine Sekunde überlegte sie, ob sie nach dem Preis fragen sollte, aber dann bedankte sie sich rasch und ging.
    Entgegen ihrem ersten Impuls, sich auf der Stelle in ihr Zimmer zurückzuziehen, trat Jo an den Tresen des Wellness-Bereichs und fragte nach einem Termin.
    »Jetzt gleich?« Die Mitarbeiterin mit den bläulich schwarzen Haaren, die sie zu einem Knoten gebunden trug, aus dem nur eine einzige Strähne ausgespart war, die als umgedrehtes Fragezeichen auf ihrer Wange klebte, hob die Augenbrauen an. »Bei diesem Wetter sind alle Gäste hier und wollen sich etwas Gutes tun. Wir sind ziemlich ausgebucht.« Sie ließ ihre künstlichen Fingernägel, pink-silber mit Glitzereffekt Sternenstaub, über die Seite des Kalenders gleiten.
    Dann eben nicht, dachte Jo missmutig. Laut sagte sie: »Kein Problem, war nur so eine spontane Idee.« Sie wandte sich vom Tresen ab.
    »Die Floating-Wanne wäre noch frei«, flötete es hinter ihr.
    Jo ließ sich erklären, was sie sich unter dieser geheimnisvollen Wanne vorzustellen hatte. Sie hörte etwas von Schwerelosigkeit wie im Mutterleib und totaler Entspannung und sagte zu. Eine knappe halbe Stunde später schwebte sie in einem mit Salzwasser gefüllten Tank. Beruhigende Klänge von Flöten, Harfen und Trommeln drangen aus Unterwasser-Lautsprechern zu ihr, und durch die geschlossenen Lider nahm sieden sanften Wechsel farbigen Lichts wahr. Nach wenigen Sekunden war ihre innere Unruhe vergessen. Bedauerlicherweise nutzte ihr Gehirn die Zeit, um Jo zurück in die kleine Galerie und zu dem Gemälde ihres Vaters zu bringen. Es war ihr noch nie gelungen, an nichts zu denken.
    Was hatte sie erwartet? Warum war sie ausgerechnet auf den Darß gekommen, den sie und ihre Mutter zusammen mit ihrem Vater nur zu gern besucht hätten, den sie mit achtzehn dann jedoch zum Un-Ort erklärte, zu einer Region, in die sie niemals einen Fuß setzen würde? Während ihre Finger und Zehen schrumpelig wurden, analysierte Jo ihre Empfindungen. Da war Wut. Doch dahinter gab es auch ein wenig Stolz. Die Worte der Galeristin fühlten sich gut an: begnadeter Künstler, interessanter Mann. Auch die Vorstellung, dass sich seine Bilder gut verkauft hatten, erfüllte Jo mit Stolz. Nicht dass sie etwa Verständnis dafür hatte, dass jemand Geld für derartig kitschige Malereien ausgab. Auf der anderen Seite hatte ihr Vater seinen ganz eigenen Stil gehabt, das musste man ihm zugestehen. Und er kam der Realität mit seiner Darstellung sehr viel näher, als sie es je für möglich gehalten hätte. Der Mond leuchtete hier einfach intensiver, die Farben strahlten kräftiger. Warum bloß hatte er darauf bestanden, anonym zu bleiben? Soweit sie sich erinnerte, stand Otto Niemann zu seiner Kunst.
    Plötzlich tauchte er vor ihr auf mitten in dieser meditativen Versenkung. Er war zum Greifen nah, wie er es seit seinem Tod vor einem Jahr nie mehr gewesen war. Dieser kantige große Mann mit dem immer etwas mürrischen Gesichtsausdruck, mit Pranken, die gleichermaßen zupacken und einen feinen Pinselstrich führen konnten, mit einer tiefen Reibeisenstimme,die jegliche Hoffnung der Familie auf gemeinsame Ferien mit einem Wort zunichte machen und im nächsten Moment vom Mond als Seelenverwandten schwärmen konnte.
    Die Unterwasser-Klänge veränderten sich, wurden schwächer, gingen in ein Summen über. War das nicht die Stimme ihres Vaters? Natürlich, er summte oft, wenn er über einer Zeichnung brütete, die er zu einem bestimmten Termin

Weitere Kostenlose Bücher