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Duenenmond

Duenenmond

Titel: Duenenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Johannson
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fertig abliefern musste. Er arbeitete zu Hause. Seine Tür war immer offen, so dass Jo jederzeit zu ihm gehen, ihm über die Schulter sehen konnte. Instinktiv sprach sie nicht, sah ihm nur zu, wenn er diesen ganz bestimmten leeren Blick hatte und summte. Das tiefe Summen füllte sie vollständig aus, und ihr fiel erst jetzt auf, wie warm ihr war. Sie blickte in die grauen Augen ihres Vaters und stellte überrascht fest, dass sie nicht leer oder abweisend waren. Sie waren betrübt. Zum ersten Mal kam ihr der Gedanke, dass dem Mann, der so stur sein konnte, der aber auch so zuverlässig war, dass ihm stets etwas gefehlt hatte. Es gab Nuancen in ihm, die er in seiner Familie nicht ausleben konnte, Bedürfnisse, die ihre Mutter und sie nie zu erfüllen in der Lage gewesen waren.
    Ein Schmerz drang Jo unvermittelt in die Brust. Nicht ein einziges Mal hatte sie wirklich versucht, ihn zu verstehen, hatte sie ihn mit Interesse und Zuneigung nach seinen Gründen gefragt, allein in den Urlaub zu fahren. Immer war sie voller Ungeduld und Hass gewesen. Und jetzt war es zu spät. Sie hatte keine Möglichkeit mehr, ehrliche Antworten von ihm zu bekommen.
    Es dauerte einige Sekunden, bis Jo begriff, dass das helle Licht, das durch ihre Lider drang, nicht die Sonne war. Erstaunt stellte sie fest, dass die Musik verstummt war. Wie langeschon? Jo wollte sich von der Liege erheben. Oder lag sie auf ihrem Handtuch im weichen Sand? Zu spät registrierte sie das Wasser um sich herum, verschluckte sich und musste fürchterlich husten. Willkommen zurück in der Wirklichkeit.
    Sie saßen auf einer Eckbank in der Kneipe, von der Jan gesagt hatte, hier würde man wenigstens auch Einheimische treffen und nicht nur Touristen. Jo hätte nicht beurteilen können, wer hier in der Region lebte und wer nur seinen Urlaub verbrachte. Machte das einen Unterschied? Ihr fiel lediglich auf, dass das Lokal offenbar ein Treffpunkt der Skipper war. Aus den Gesprächsfetzen, die sie aufschnappte, ging hervor, dass die letzten beiden Tage ausgiebig für Segeltörns genutzt worden waren.
    »Und, was hast du heute unternommen?« Jan stützte einen Arm auf den Tisch, legte das Kinn auf die Hand, sah sie erwartungsvoll an und spielte mit einem Finger an seinen Lippen, anscheinend eine Angewohnheit von ihm.
    »Hab mir die Cartoons in Prerow angesehen und ein paar Galerien.« Jo fuhr sich gedankenverloren durch das kurze Haar, das sich hier und da kringelte, weil sie es an der Luft hatte trocknen lassen.
    »Hast du etwas gekauft?«
    »Nein.«
    Er sah sie einige Zeit an und wartete darauf, dass sie erzählte. Aber sie hatte keine Lust dazu. Sie wollte nicht von dem Bild berichten und auch nicht von ihren Gedanken, die ihr in der Wanne schwebend durch den Kopf gegangen waren. Die Stille zwischen ihnen wurde greifbar. Jo wusste, dass sie etwassagen sollte, bekam aber irgendwie kein Wort heraus. Stattdessen schenkte sie dem Dudelsack, der über ihren Köpfen hing, der Nationalflagge Irlands an der rohen roten Backsteinwand und einem Plakat mit sämtlichen irischen Whiskey-Destillerien ihre ganze Aufmerksamkeit.
    »Sehr gesprächig bist du heute nicht gerade. Alles okay mit dir?« Jan klang geduldig und freundlich.
    »Ja, ja, alles bestens.« Sie zögerte. Weil er sie weiter ansah, setzte sie hinzu: »Ich glaube, ich vermisse schon die Großstadt. Das Landleben geht mir auf den Keks.«
    Er schüttelte den Kopf und begann, das weiche Wachs der Kerze, die vor ihnen auf dem Tisch brannte, in die Flamme zu drücken. Jo hätte sich ohrfeigen können. Jetzt dachte er vermutlich, sie sei so eine Schickimicki-Ziege, die jeden Abend Party brauchte. Dabei stimmte das überhaupt nicht. Sie liebte Hamburg zwar sehr, ging aber nicht übermäßig oft aus, sondern blieb wesentlich häufiger mit einem Buch zu Hause. Oder sie besuchte ihre Mutter, die nach dem Tod ihres Mannes auf das Land gezogen war.
    »Vielleicht liegt es auch an etwas anderem«, versuchte sie, ihre dumme Bemerkung rückgängig zu machen. Wieso war ihr aber auch nichts Besseres eingefallen? Die Wahrheit war, dass das Leben auf dem Darß ihr ganz und gar nicht auf die Nerven ging, sondern mit jedem Tag besser gefiel. Wenn sie darüber nachdachte, konnte sie sich überhaupt nicht vorstellen, wieder jeden Tag in einer überfüllten U-Bahn zu sitzen, ständig klingelnde Telefone und piepende Computer um sich zu haben.
    »Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist«, sagte sie leise undstarrte angestrengt in die Flamme. Das

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