Duenenmond
am Himmel, und es war sehr heiß, als Jo am nächsten Tag an den Strand kam. Sie hatte leichte Muskelschmerzen unterhalb der Schulterblätter und einen zauberhaften kleinen Kater. Nicht so stark, dass er ihr den Tag verderben konnte, aber gerade stark genug, um sie an einen wirklich gelungenen Abend zu erinnern. Es war bestimmt nicht ihr letzter Besuch in der Cocktailbar am Strandübergang sieben. Zuerst war ihr die Einrichtung ein wenig verstaubt vorgekommen. Doch dann hatte sie sich von dem Charme und der Atmosphäre gefangen nehmen lassen. Hier blieb niemand langeallein, sondern kam mit anderen Gästen ins Gespräch. Eine junge Frau, die etwa in Josefines Alter sein musste, hatte von den Jazz-Konzerten geschwärmt, die es regelmäßig in der Bar gab. Legendär seien die spontanen Auftritte von Musikern, die ihren Urlaub hier verbrachten oder nach einem Konzert in der Nähe auf einen Schlummertrunk vorbeischauten. Jo hoffte, dass sie auch bald einen solchen Abend erleben würde.
Sie warf ihre Tasche in den Sand, bohrte den Sonnenschirm, den sie am Morgen erstanden hatte, in den Boden und spannte ihn auf, breitete ihr Strandtuch aus und lief geradewegs ins Wasser, das glatt wie ein Spiegel da lag. Die Ostsee war ungewöhnlich warm. Die Sonne, die nun schon seit drei Wochen schien, ohne dass es einmal geregnet hätte oder Wind aufgezogen wäre, hatte sie auf diese hohe Temperatur gebracht. Schon unterhielten sich die Einheimischen darüber, dass dieses Wetter zwar gut für das Geschäft, aber gewiss nicht für die Fische war, deren Luft allmählich knapp würde. Ein kräftiger Sturm müsse her, der die See aufwirbeln und sie mit neuem Sauerstoff versorgen würde. Ein Temperatursturz wäre gut. Josefine fand das Wetter genau richtig. Das Unwetter sollte sich bitteschön bis nach ihrem Urlaub gedulden. Sie watete mit langen Schritten hinaus, freute sich über den schlammig-weichen Untergrund unter ihren Füßen und schwamm dann der Sonne entgegen.
Als sie schließlich kehrtmachte, stellte sie fest, dass die Strömung, von der sie nichts bemerkt hatte, sie ein gutes Stück ostwärts getrieben hatte. Mit kräftigen Zügen kraulte sie zurück ans Ufer und ließ sich endlich auf ihr Handtuch fallen. Ihr Brustkorb hob und senkte sich, sie keuchte. Zurück in Hamburgmusste sie unbedingt wieder häufiger um die Alster joggen, wenn sie nicht völlig aus der Form geraten wollte.
Während die Sonne blitzschnell das Wasser auf ihrer Haut trocknete, lag Jo auf dem Bauch, ihr Kinn bohrte sich in die übereinander gelegten Hände. Sie blinzelte in die Richtung, aus der am Tag zuvor der Eismann mit seiner altertümlichen Karre gekommen war. Ein Eis würde ihr jetzt gefallen. Ebenso ein prickelnder Urlaubsflirt mit dem Eismann. Doch er war nicht zu sehen. Josefine blätterte in einem Magazin, ohne wirklich einen Artikel zu lesen. Ihre Gedanken wanderten zu der seltsamen Franchise-Idee. Sie könnte funktionieren, dachte sie, wenn man das Ganze als Marke etablierte. Eis am Strand … Sie lächelte. Okay, so schlecht war das gar nicht. Aber sie konnte es besser, wenn sie sich noch eine Weile damit beschäftigte.
Stunde um Stunde hockte sie im Schatten ihres Schirms, lief sie, die Beine bis zur Wade im Wasser, den Strand hoch und wieder zurück und verkroch sich vor der Hitze wieder unter dem Schirm. Längst war die Zeit verstrichen, zu der am Vortag das Glöckchen erklungen war. Ruhe kehrte ein, denn die meisten Familien mit Kindern verließen nach und nach den Strand. Nur hier und da zog noch ein Kopf einen Strich durch die glatte Wasseroberfläche, lag noch jemand dösend auf seinem Handtuch im Sand. Blechern wehten die Klänge aus einem Kopfhörer herüber, den ein Junge von vielleicht sechzehn oder siebzehn Jahren trug. Sein Fuß kippte im Takt von einer Seite auf die andere. Was bei Jo ankam, war nur noch eine scheppernde Ahnung einer Melodie. Ein kleiner Mann mit dunklem Haarkranz, von der Sonne ledrig gebräunter Haut, mit weißer kurzer Hose und einem weißen Unterhemdbegann damit, die ersten der roten Strandkörbe zum Schlafen zu legen. Der Eismann würde nicht mehr kommen. Schade.
Jo stand unter der Dusche und ließ sich lauwarmes Wasser über die erhitzte Haut laufen, das ihr fast kühl erschien. Zurück im Hotel hatte sie von ihrem Fenster aus noch ein wenig dem kleinen Mann mit der Lederhaut dabei zugesehen, wie er die Strandkörbe vor nächtlichen Besuchern gesichert hatte. Dann war sie unter die Dusche geschlüpft.
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