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Duenenmord

Duenenmord

Titel: Duenenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Peters
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kennengelernt, kurz nach der Wende, und waren seit zwanzig Jahren ein gut eingespieltes Team, hatten Firma und Tauchschule gegründet, zwei Söhne großgezogen und auch magere Zeiten überstanden – in jeder Hinsicht magere Zeiten. Über die Jahre davor, insbesondere über den Zeitraum ab seinem zwanzigsten Lebensjahr, sprach er nicht viel, am liebsten gar nicht. Wenn es nötig wurde, nannte er Eckdaten oder erfand Notlügen, nicht nachprüfbare Geschichten, gerade zu Beginn ihrer Beziehung, als der Austausch rege und die Neugier groß war. Inzwischen war so viel Zeit vergangen, dassjene Jahre keine Rolle mehr spielen dürften, auch wenn sie ihn immer wieder bedrängten. Hatte er geglaubt, inständig gehofft.
    Stefan war nach der Vernehmung direkt nach Sassnitz zurückgefahren und hatte sich im Lager verkrochen, wo er mehr oder weniger sinnvoll aufräumte und Tauchausrüstungen kontrollierte. Nach dem Weihnachtstauchen, das diesmal an der Selliner Seegondel stattgefunden hatte, war er nicht mehr in die Tiefe gegangen. Nichts gab ihm mehr Ruhe und Stärke als das Tauchen – die Gewissheit, in der Lautlosigkeit dieser fremden Welt mit ihren ganz und gar eigenen Gesetzen bestehen zu können, faszinierte ihn, solange er denken konnte.
    Genau genommen bin ich seit über dreißig Jahren auf der Flucht, fuhr es Stefan durch den Kopf – fast erstaunt, wie sich die Jahre angesammelt hatten –, mal mehr, mal weniger, aber es hört nie endgültig auf. Vielleicht hatte die Sänger sogar recht, und man musste sich irgendwann seiner Vergangenheit stellen. Ihre Stimme hatte merkwürdig geklungen, als sie das gesagt hatte, seltsam schmerzvoll. Aber der Zeitpunkt war noch nicht gekommen. So lange der Vergangenheit die Kraft innewohnte, die Gegenwart vollends zu zerstören, würde er eine ganze Menge tun und sehr viel riskieren, um ihr Einhalt zu gebieten, auch um den Preis, ein stets Flüchtender zu bleiben.
    Die entscheidende Frage war, wie die Polizei auf ihn gestoßen war, über welche Informationen sie verfügte, und ob sie daraus mehr ableiten konnte als die üblichen Vermutungen, wenn die bekannten Stichworte fielen. Generalverdacht Stasi. Gingen die Beamten lediglich einem mehr oder weniger konkreten Anhaltspunkt nach, weil die Sänger sich, bei wem auch immer, weitschweifend über ihn ausgelassen hatte und angesichts ihrer Ermordung jeder Hinweis überprüft wurde? Eine unvorsichtige Schwätzerin war sie jedoch aus gutemGrund nicht gewesen, zumindest dürfte sie sich in Kenntnis der Verwicklung ihres Vaters Zurückhaltung auferlegt haben, aber es blieb darüber hinaus die Ungewissheit, wann und in welchem Umfang sie von Arnolts Tätigkeit erfahren hatte, und ob sie in der Lage gewesen war, die Bezüge herzustellen. Und würde die Polizei im Laufe der aktuellen Ermittlungen die Zusammenhänge erkennen und entsprechende Rückschlüsse ziehen?
    Für eine allgemeine Überprüfung waren die Fragen der beiden Kommissare zu konkret gewesen, Schärfe und Stoßrichtung viel zu eindeutig. Demnach musste Stefan davon ausgehen, dass die Polizei auf weitere Aufzeichnungen gestoßen war. Vielleicht existierten Kopien zumindest einiger Dokumente, die noch dazu nicht sonderlich gut vor fremdem Zugriff geschützt gewesen waren. Das wäre bitter.
    In seinem Job war es selbstverständlich, sensible Daten nicht nur gut zu sichern, sondern neunundneunzigprozentig zu schützen, denn hundertprozentige Sicherheit war eine Illusion. Die Sänger war Kindergärtnerin gewesen. Sie hatte es wahrscheinlich für völlig ausreichend befunden, mehr oder weniger geistreiche Passwörter zu benutzen. »Rolf1607« hatte Stefan im dritten Versuch auf ihrem Netbook eingegeben und damit richtig gelegen. Sein Todestag war ihm noch nach achtundzwanzig Jahren gegenwärtig, so wie das fassungslose Entsetzen, das sich auf Rolfs Gesicht gespiegelt hatte, als ihm klarwurde, dass er in die Tiefe stürzen würde.
    Stefan spürte, wie ihm der Schweiß den Rücken hinablief, seine Hände zitterten, und der Druck im Magen verstärkte sich stetig. Kaum jemand wusste, dass ein wesentlicher Grund für seine nach wie vor drahtig schlanke Figur in der schlichten Tatsache begründet lag, dass es ihm häufig den Appetit verdarb, weil sein Magen verrückt spielte. Alles hatte mit einem Unfall begonnen, und wenn sich im Leben tatsächlichirgendwann der Kreis schließen würde, wie es immer so schön hieß, würde er eines Tages bei einem Unfall sterben. Davon war er

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