Duenenmord
entscheidende Zeuge für sie war«, argumentierte Romy, ohne dass die Erklärung in ihren eigenen Ohren hundertprozentig überzeugend klang. »Sie hat bei dem ganzen Thema immer wieder abgewiegelt, aber … hm. Vielleicht müssen wir Keil noch einmal konkret zu diesem Aspekt befragen – unter Umständen haben wir etwas missverstanden. Fine soll sich darum kümmern.«
»Gut, noch was«, fügte Max hinzu. »Der Mann ist geschieden und Vater einer Tochter. Er stammt aus Ludwigslust und lebt seit der Wendezeit in Kiel, wo er als Bootsbauer arbeitet.«
Romy stutzte. »Kiel … seltsame Parallele.«
»Finde ich auch.«
»Können wir aber wohl nicht aus dem Stand klären, behalt das im Hinterkopf … Ach, Max, noch was anderes: Was würdest du an Heises Stelle tun, wenn du innerhalb kurzer Zeit und ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen Sängers Dokumente vom Netbook in aller Ruhe überprüfen wolltest?«
»Man hinterlässt immer Spuren.«
»Du weißt, was ich meine. Wie geht man unauffällig vor?«
»Kopien auf einen Stick ziehen, Dokumentennamen ändern und von einem x-beliebigen PC aus, vielleicht in einem Internetcafé, auf einen Online-Server hochladen, Verlauf und Chronik löschen«, erwiderte Max prompt. »Netbook und Stick zerstören und verschwinden lassen. Oder du hast ein verdammt gutes Versteck und hebst den Stick doch auf … Aber das ist in der Regel zu gefährlich. Es gibt nämlich keine verdammt guten Verstecke, dafür aber eine Menge blöder Zufälle. Hab ich Kasper auch gerade erläutert.«
»Aha, verstehe. Aber wenn ich die Dokumente lesen will, muss ich die Dateien wieder herunterladen, richtig?«, überlegte Romy.
»Korrekt. Das sollte man also keinesfalls von Zuhause aus tun oder in der Firma, auch nicht im Freundeskreis«, betonte Max. »Am schlauesten ist es, die Dateien so schnell wie möglich zu prüfen, danach umgehend zu löschen und sich vom Server wieder abzumelden. Und selbstverständlich sollte man seine Login-Daten nirgendwo notieren.«
»Gut, verstanden. Dann erst mal bis später.«
Max eilte bibbernd zurück ins Haus. Er ist definitiv nicht der Mann für die Außeneinsätze, dachte Romy, als sie ihm kurz nachblickte – schon aus Witterungsgründen nicht. Seine Outdoor-Tauglichkeit tendierte gegen Null: Im Sommer war es ihm zu heiß, im Winter zu kalt, im Herbst zu stürmisch, und im Frühling nervten die Pollen. Nun gut, der Mann hatte eindeutig andere Vorzüge.
Romy liebte den Blick über die Rügenbrücke – egal zu welcher Jahreszeit. Der Strelasund lag wie ein Spiegel unter ihr, reglos, kalt, abwartend. Er hatte alle Zeit der Welt.
Sie brauchte anderthalb Stunden bis Greifswald. Die Arnolts wohnten in einem weißgetünchten Einfamilienhaus an der Wiek, wenige Meter hinterm Deich in der Nähe des Hafens. Die Außenbeleuchtung war bereits eingeschaltet, und aus mehreren Fenstern strömte warmes Licht. Im Sommer blühten wahrscheinlich Geranien in den Blumenkästen, und wenn der Wind richtig stand, hörte man das Tuckern der einfahrenden Fischkutter.
Romy stellte den Motor ab. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, wie sie vorgehen sollte. Vielleicht wäre es doch besser gewesen, Kasper an ihrer Seite zu haben. Den gelassenen Kollegen, der über den nötigen Hintergrund verfügte, der Land und Leute kannte, Krisen und Umbrüche hautnahmiterlebt hatte. Oder man ging als Fremde nahezu unbelastet in die Situation, frei vom Schmerz und von den Erfahrungen jener Zeit und ohne ihren Fokus.
7
Vor gut fünf Jahren, als die Firma zusehends besser lief und die Tauchschule sich zu amortisieren begann, waren sie nach Sagard gezogen. Julia hatte sich durchgesetzt mit ihrem Wunsch, am Jasmunder Bodden zu leben. »Wir haben es nicht weit in die Firma, und die Jungs sind schnell in der Schule. Außerdem ist das Haus herrlich gelegen und gar nicht so teuer«, hatte sie geschwärmt, und ihrer Stimme war deutlich anzuhören, dass ihre Entscheidung längst gefallen war.
Viele gute Argumente, ohne Zweifel. Stefan Heise hätte sich auch im Westen der Insel wohlgefühlt, in Gingst oder Trent oder hoch im Norden direkt am Meer. Allerdings war man dort nie vor Touristen sicher. Doch in diesen Belangen ihres Lebens bestimmte grundsätzlich Julia, so wie auch der Entschluss, nach Rügen zu gehen und ganz von vorne anzufangen, damals ihre Idee gewesen war. Das war er ihr schuldig.
Seine Frau wusste nicht viel von ihm, ohne von dieser Lücke auch nur zu ahnen. Sie hatten sich in Rostock
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