Duenenmord
abgelegenen Weg und stapfte durch kniehohen Schnee, bis er vor einem verfallenen Gebäudeteil stand. Die Ruine wirkte mit ihren Eiszapfen und der pudrigen Schneedecke fast verspielt, sogar märchenhaft. Heise lächelte traurig.
Er schüttete die Einzelteile des zerstörten Sticks durch eine Öffnung ins Innere und ließ die Tüte im Wind flattern. Dann drehte er sich abrupt weg, ging zurück zum Wagen, fuhr nach Bergen und warf den Umschlag in den Briefkasten des Kommissariats. Immerhin – der Magendruck begann spürbar nachzulassen.
Maritta Dohl war ab Ende der neunziger Jahre für einige Zeit nicht nur Monikas Kollegin in der Kita, sondern auch eine Sportkollegin gewesen. Inzwischen teilte sich die Sechzigjährige mit einem jungen Erzieher eine Leitungsstelle in Putbus. Als Max Breder sie angerufen und dringend um einen Besprechungstermin in Bergen gebeten hatte, war sie sofort bereit gewesen, aufs Kommissariat zu kommen.
Nun saß sie Romy gegenüber und berichtete trotz des Entsetzens, das sie angesichts der Geschehnisse ergriffen hatte, erfrischend lebhaft von ihrer Bekanntschaft mit Monika. »Freundschaft wäre zuviel des Guten«, betonte sie sofort. »Aber wir kamen gut miteinander aus, und die Frau war einetalentierte Volleyballerin. Ihre Schmetterbälle an der Linie entlang waren verdammt hart gewesen. Unsere Seniorinnenmannschaft konnte aufgrund ihrer Spielstärke so manchen Sieg herausspielen – in vielen Sportarten gilt man ab dreißig als Seniorin!« Sie lächelte herzlich, bevor sie schlagartig wieder ernst wurde. »Frau Kommissarin, es will mir einfach nicht in den Kopf, dass Monika ermordet wurde.«
»Ich weiß, ein solches Verbrechen ist schwer zu begreifen«, stimmte Romy ihr zu. »Die Ermittlungen gestalten sich darüber hinaus in diesem Fall als besonders schwierig und … vielschichtig.«
»Ich helfe natürlich gerne, bin aber ein wenig verwundert«, bemerkte Maritta Dohl in freundlichem Ton. »Ich sehe Monika schon seit einigen Jahren nur noch selten, seit sich unsere beruflichen Wege getrennt haben und sie den Sport leider an den Nagel gehängt hat. Aus welchem Grund sollte ausgerechnet ich Ihnen helfen können?«
»Weil Sie mit Monika sowohl privat als auch beruflich zu tun hatten«, erläuterte Romy. »Als Sie sich kennenlernten, war sie erst einige Jahre verheiratet.«
»Stimmt.«
»Sie war nicht nur Ehefrau, sondern auch Stiefmutter.«
»Ja.« Das kam sehr zögernd. Die Frage, worauf die Kommissarin eigentlich hinaus wollte, stand Maritta Dohl deutlich ins Gesicht geschrieben.
»Wie kam sie mit dieser Rolle klar? Welchen Eindruck hatten sie von der Beziehung zwischen Monika und ihrer Stieftochter?«, präzisierte Romy ihre Frage.
Maritta Dohl lehnte sich in den Sitz zurück. »Sie hat sich große Mühe gegeben mit der Kleinen.«
»Können Sie das erläutern?«
Die Frau stockte. »Frau Kommissarin …«
»Frau Dohl, es hat ein zweites Gewaltverbrechen im Umkreis der Familie Sänger gegeben, und wir müssen mehr überdie familiären Verhältnisse wissen«, erklärte Romy. »Mehr kann ich Ihnen dazu im Augenblick wirklich nicht sagen.«
Maritta Dohl schluckte. »Na schön. Nun, wie ich schon sagte – Monika hat sich große Mühe mit der Kleinen gegeben, Lotte ist ihr Name, wenn ich mich recht entsinne.«
Romy nickte.
»Ein bildhübsches Mädchen«, fuhr die Dohl fort. »Eine richtige kleine Puppe war das und ein Papakind. Monika sagte mal, dass sie keine Chance habe bei der Kleinen.«
»Das waren ihre Worte?«
»Ja, und sie klangen sehr traurig. Das Kind ließ sie nicht an sich heran, sie wollte nichts von einer neuen Mutter wissen. Moni war manchmal richtig verzweifelt. Sie hat alles Mögliche angestellt, um das Vertrauen und die Zuneigung des Kindes zu gewinnen, aber …« Maritta Dohl schüttelte den Kopf. »So lange wir uns regelmäßig sahen, hat sich nie etwas zum Positiven geändert. Lotte hat Moni nie akzeptiert und sie immer in aller Deutlichkeit spüren lassen, dass sie eine ungeliebte Stiefmutter ist.«
Interessant, dachte Romy. Die Familienfotos im Hause der Sängers fielen ihr plötzlich ein, Bilder, auf denen die Nähe zwischen Vater und Tochter stets betont wurde. »Hat Monika je erwähnt, wie Michael Sänger mit diesem Konflikt umgegangen ist?«
»Nun, das ist alles schon sehr lange her, aber wenn ich mich recht erinnere, fühlte Monika sich mit dem Problem von ihrem Mann allein gelassen. Lotte war nun mal Michaels großer Schatz – so drückte sie sich
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