Duenne Haut - Kriminalroman
wenigen Minuten, ihn umzupolen. Im Gegensatz zu den kaiserlichen Majestäten Akihito und Michiko von Japan, die, wie ein Gedenkstein auf der Lagerwiese verrät,
am 14. Juli 2002 bei strahlend schönem Wetter von diesem Platze aus den Blick auf Wien genossen
, bevorzugte er Nebel und Dunst. Je dichter, desto besser. Gerade im Winter, wenn der Nebel frühestens am Spätnachmittag aufriss und die Birken von einem duftigen Store aus Raureif bedeckt wurden, bis sie sich schließlich rosa färbten, bekam er eine Ahnung vom Schweben. Als flöge er über die in Watte gebettete Stadt dahin, ein Paragleiter, der sich um einen sicheren Landeplatz nicht schert. Kommt Zeit, kommt Rat. Ja, diese langen Spaziergänge brachten reichlich Ernte, selten hat er so viel Kreatives niedergeschrieben wie da draußen. Dennoch, aus unerfindlichen Gründen ließ er immer öfter ab von dem Ritual, und sein einziger Ruhepol schmolz dahin.
Im allerletzten Moment hätten sie Laub abgeschnitten, sagte Rosi. Ist es nicht eine irre Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet einer, der sich wegen Suizidgedanken in diese Klinik zurückgezogen hat, einen anderen zum Suizid treibt? Er fragt sich, was ihn so reizen konnte, dass er, der bei Gewaltszenen immer aus dem Kino flüchtet, jetzt selbst zum Folterer geworden ist.
Vergiss die vordergründige Auseinandersetzung über Minarette und Religionsfreiheit, daran lag es nicht! So richtig haarig wurde der Konflikt doch erst, als Laub begann, auf den Sitzpolster einzudreschen. Als die Haare ins Spiel kamen. Die zarten, dünnen Bubenhaare direkt neben den Ohren, dort, wo es am meisten wehtut und am wenigsten auffällt. Sie hat nicht nur Laub so gerne nach oben,
in Richtung Geist
, gezogen, sondern viel früher schon ein gewisser Pater Bernhard im Stift Breitenstetten, jener niederösterreichischen Klosterschule, die Prader acht Jahre lang besucht hatte. Das Leben im Stift war beschaulich gewesen. Nichts Spektakuläres, keine Prügel, kein Kindesmissbrauch, über den man später einen typisch österreichischen Romanerstling hätte schreiben können. Ausschließlich himmelwärts orientiert war Pater Bernhard. Wenn er einen seiner jungen Schutzbefohlenen im heiligen Zorn gen Himmel zog, konnten einem schon die Tränen kommen, und der Hass. Nicht wegen des Schmerzes – wegen der Scham über die vergossenen Tränen. Ein Vierteljahrhundert später hat tatsächlich wieder einer gewagt hinzulangen, einen giftigen Blick geerntet und rechtzeitig die Hand zurückgezogen. Folgenreicher waren Praders anschließende Worte. Das Ätzen über den schönen Nachruf, den Laub sich wünsche wie nichts sonst in seinem miesen kleinen Leben … Es hat den Lehrer dazu gebracht, tatsächlich den Strick hervorzuholen.
Aber es muss eh wieder Platz werden auf dieser überfüllten Tanzfläche, in dieser Disco namens Erde!
Einer der ersten Sätze aus seinem letzten Kabarettprogramm
Gemma
, in dem er den Sensenmann höchstpersönlich auf die Bühne stellte. Er kann den Text noch auswendig.
Fakt ist, meine Damen und Herren: Der Mensch nimmt ständig zu, an Alter und – in der Regel – an Gewicht. Stellen Sie sich vor, wir würden nicht sterben müssen, uns nicht irgendwann verdünnisieren in Luft und Staub. Was würde passieren? Unsere Weltkugel würde, rein physikalisch betrachtet, auch ganz ohne Atombomben oder Kometeneinschlag binnen Kurzem aus dem Orbit geraten – wegen der schieren Zunahme an Masse nämlich!
Ich weiß schon, meine Damen und Herren: Wir beschäftigen uns ungern mit dem eigenen Tod. Eigentlich nur deshalb, weil uns hie und da die Frage nach dem Danach ein bisserl zu schaffen macht: Werden wir
danach
womöglich als eine grausliche Ratte wiedergeboren oder müssen wir gar in der Hölle schmoren, weil wir zum Beispiel unsere schöne Autofabrik, die wir von diesem naiven Staat fett subventionieren ließen, hurtig nach China verlagern, sobald die Profite hier nur mehr lachhafte zwei Milliarden im Jahr ausmachen, drüben aber das Dreifache? Natürlich, zwanzigtausend Arbeiter haben deswegen in Österreich ihre Arbeitsplätze verloren, aber genauso viele Chinesen haben dafür welche gekriegt! Im Zeitalter der Globalisierung darf man eben nicht kleinkariert national denken. Und es kann nicht nur Gewinner geben; das geht sich – rein ökonomisch betrachtet – einfach nicht aus!
Wie auch immer: So ein Blick über die Kante unseres irdischen Daseins hinaus, der gibt uns bisweilen schon zu denken. Und am schlimmsten, am
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