Duenne Haut - Kriminalroman
bedrohlichsten überhaupt erscheint uns jene Variante, wonach sich am End herausstellen könnte, dass es weder Paradies noch Hölle gibt, und auch keine Reinkarnation. Das wär doch dann das Nichts!, rufen wir entsetzt; und sich das Nichts vorstellen wollen wir uns gar nicht erst vorstellen. Das hieße ja glatt zu akzeptieren, dass die Welt auch ohne unsere Beteiligung locker zurechtkommt. Da kannst du dir deine unsterbliche Seele gleich irgendwohin stecken. Nicht einmal als Aushängeschild des negativen Prinzips wärst du da noch zu gebrauchen, als ewig in der Hölle Brutzelnder etwa oder als karmisch vorbelastete Ratte, weil in so einem postmortalen Nichts weder das gute noch das böse Prinzip eine Rolle spielen. Aus, basta. Ein sauberer Schas, nicht wahr?
Damit nun eine solche fundamentale Irritation der Menschheit nicht eintritt, haben sich die diversen Weltreligionen zusammengeschlossen im IVS, dem internationalen Vertröstungssyndikat, das weltweit die volle staatliche Anerkennung genießt und wodurch die früheren Konkurrenten und jetzigen Partner von Synergie- und Sympathieeffekten gleichermaßen profitieren. Wem das IVS nicht reicht, weil der eine oder die andere heutzutage individueller, esoterischer unterwegs sein möchte, dem bleiben immer noch ein paar tausend Sekten, Naturreligionen oder lokale Kulte zur Auswahl. Wahlfreiheit ist ja heutzutage, wie wir wissen, wichtig! Zum Beispiel im Krankenhaus. Da kannst du vor einer Operation auch zwischen verschiedenen Methoden der Vollnarkose oder der Lokalanästhesie wählen. Wer aber, bitteschön, wird sich ohne jegliche Betäubung unters Messer legen? Na, sehen’S!
So hat er gelästert, und die Leute haben fleißig gelacht. Ob sie das auch getan hätten, wenn er ihnen mit seiner ganz privaten Einstellung zum Tod gekommen wäre?
Die hat er nämlich nicht verraten. Nicht, weil es ihm zu intim gewesen wäre – es war einfach zu wenig spritzig für einen Sketch. Er, der keiner Religion traut, hegt doch diese eine, quasi musikalische Hoffnung: Dass wir weiterswingen werden im Leben derer, die unseren Rhythmus gespürt und vernommen haben … oder eben nicht. Tut sich nichts bei ihnen, tut sich eben nichts. Bei der feierlichen Verabschiedung schon wirst du’s merken. Ob der Sargdeckel sich lüftet und zu wackeln beginnt, zu hüpfen womöglich oder auch nur ein bisschen ungehörig zu verrutschen. Einen Spalt breit. Das brächte Luft ins Sarginnere, die luftig lustvolle Vibration deines Widerhalls.
Good vibrations, bad vibrations, or no vibrations at all
.
Egal. Derzeit spielt das keine Rolle. Konstipation statt Vibration – die traurige Realität!
Das Klopfen an der Tür reißt ihn hoch aus seiner Kauerhaltung.
„Wer ist da?“
„Tone.“
„Einen Augenblick!“
Er streift den Morgenmantel über und vermeidet es, auf seinem Weg zur Tür in den Spiegel zu schauen.
„Darf ich reinkommen?“
Prader macht keine Anstalten, den Eingang freizugeben.
„Was willst du? Ich fühle mich nicht allzu gut.“
„Kann ich mir vorstellen. Aber du bist nicht der einzige, der leidet.“
Was soll diese Anspielung! Was will der Xiberger von ihm, verdammt noch einmal?
„Ich habe gehofft, du würdest mich vielleicht begleiten.“
„Wohin?“
„Auf Zimmer zwanzig. Wolfgang Laub einen kleinen Besuch abstatten.“
„Aber … aber ich dachte, den hätten sie nach Ravensburg gebracht!“
„Haben sie auch. Seine Halsgefäße wurden durchgecheckt und auch sein oberstudienrätliches Hirn, um zu schauen, wie der Möchtegernselbstmörder tickt. Wäre ja nicht lustig, wenn er bei nächstbester Gelegenheit gleich wieder zum Strick greift, oder? Offensichtlich wurde diesbezüglich grünes Licht gegeben, denn Laub hat nur eine Nacht im Krankenhaus verbringen müssen. Also – kommst du?“
So, wie er von ihm zwischen Tür und Angel angemacht wird, erkennt er in dem Vorarlberger erstmals den Polizisten. Freundlich im Tonfall, aber kompromisslos, was die Zielsetzung angeht.
„Bei der Gelegenheit könntet ihr auch gleich euren netten Disput von gestern zu Ende bringen“, setzt Hagen spöttisch nach. „Ich mein, wo ich ihn extra für dich heruntergeholt habe. Wie sagt die Dr. Grein immer: Die Gestalt ist erst fertig, wenn die zugrundeliegende Geschichte abgeschlossen ist.“
„Du?
Du
hast ihn gerettet?“
„Ja, zusammen mit Lucy. Ich war todfroh, dass sie den Part mit der Beatmung übernommen hat. Mit dem alten Spinner hätte ich nicht gerne geschmust.“
Prader
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