Duerers Haende
gelaunt hochsteigen sah, hätte vermuten können, hier sei eine erfolgreiche Kommissarin auf dem Weg zum Rapport, um ihrem Chef die Lösung eines komplizierten Falls zu melden. Doch bei Paula Steiner verhielt es sich eher umgekehrt: Die frohe Stimmung, die sich aus ihrer Neugier auf das vor ihr Liegende speiste – zum großen Teil auf das Kennenlernen fremder Menschen –, war nur am Anfang einer neuen Aufgabe ihr Begleiter; am Ende jedes Falls hatte bei ihr immer eine leise Melancholie die Oberhand.
Forsch betrat sie Fleischmanns Vorzimmer. »Guten Morgen. Ich muss zu Herrn Fleischmann.«
Sandra Reußinger, Fleischmanns Sekretärin und ihre Intimfeindin Nummer eins, erwiderte den Gruß auf ihre Weise. Sie runzelte die glatte Stirn und starrte Paula Steiner aus weit aufgerissenen Augen vorwurfsvoll an. Diese Blickstarre der Blondine galt hausintern als sicheres Zeichen für einen bald folgenden Rüffel.
»Haallooo, guten Morgen. Hat es Ihnen die Sprache verschlagen, oder haben Sie für heute ein Schweigegelübde abgelegt?«
»Jeder in diesem Haus klopft vorher an, bevor er mein Zimmer betritt. Jeder! Nur Sie nicht. Obwohl ich Sie schon oft genug dazu«, Sandra Reußinger suchte nach einem passenden Verb, das ihre Hoheit in dem Vorzimmer, die selbstverständlich auch die Tür innen wie außen einschloss, unterstreichen sollte, »ermahnt habe. Ist denn das zu viel verlangt, dass Sie sich das ein für alle Mal merken?«
Ach ja, das leidige Anklopfen. Sie hatte es vergessen. Jetzt war sie es, die sich in Schweigen hüllte.
»Nun, ich finde, das ist vor allem eine Frage des guten Benimms. Und den hat eben nicht jeder«, schob Sandra Reußinger nach.
»Und ich finde, das hier sind nicht Ihre Privatgemächer, sondern der Platz, wo Sie Ihrer Arbeit nachgehen sollten. Und diese beinhaltet unter anderem, nur zur Erinnerung, Frau Reußinger, mich möglichst zügig zu Ihrem Chef durchzulassen.«
In dem Moment öffnete Fleischmann die Tür und murmelte in beider Richtung: »Ach, das schon wieder.«
Nachdem er sie eingelassen und die Tür hinter sich zugezogen hatte, sagte er: »Muss das jedes Mal sein? Geht es nicht einmal ohne diesen Firlefanz? Darüber sollten Sie doch wirklich stehen, das haben Sie doch gar nicht nötig. Frau Reußinger natürlich auch nicht, ich weiß.« Er wartete ihre Antwort nicht ab. »Also dann, Frau Steiner, erzählen Sie!«
Sie berichtete, was sie am Erlenstegener Wasserwerk gesehen hatte. Fleischmann hörte ihr konzentriert zu, ohne sie zu unterbrechen. Noch Wochen später würde er sich an jedes Detail dieses Rapports erinnern können. Paula Steiner hegte einen gewissen Respekt für ihren Vorgesetzten. Er mischte sich nie in ihre Arbeit ein und drängte sie auch bei den Fällen, in denen die Öffentlichkeit umgehend einen Schuldigen forderte, nicht zu raschen Ergebnissen; er ließ ihr Zeit bei den Ermittlungen.
»Sie sind ja in Ihrer Kommission jetzt ganz auf sich allein gestellt. Möchten Sie jemanden aus Trommens Gruppe zur Unterstützung?«
»Nein, danke, auf keinen Fall«, wehrte sie eine Spur zu heftig ab. »Herr Bartels wird wahrscheinlich schon in den nächsten Tagen aus dem Krankenhaus entlassen.«
»Aber wenn Sie zu Shengalis Frau gehen und ihr die Nachricht überbringen, brauchen Sie jemanden an Ihrer Seite. Oder soll das unsere Schutzpolizei übernehmen?«
»Nein, das würde ich gern selbst machen. Vielleicht könnte mich Frau Brunner, eine junge Praktikantin von uns, begleiten? Die hatte mit dem Fall heute Morgen schon zu tun, sie war bei der Sicherung und Absperrung dabei. Derzeit ist sie im Dezernat 2, ich glaube, in der K20 bei der Zentralen Auswertung. Außerdem soll sie ja demnächst sowieso in unser Dezernat wechseln, hat sie mir erzählt. Und sie scheint mir für eine solche Aufgabe sehr gut geeignet.«
Der Gedanke, dass die Bilderbuchpolizistin neben ihr stand, während sie der Familie diese in der Regel schlimmste aller Nachrichten überbrachte, war ihr erst während des Gesprächs mit Fleischmann gekommen. Aber er gefiel ihr.
»Gut, dann nehmen Sie Frau Brunner mit dazu. Mein Einverständnis haben Sie.«
Sie verstand den abschließenden Ton – die Audienz war beendet. Dennoch blieb sie sitzen.
»Ist noch was?«
»Mir wäre es recht, wenn Sie das erledigen könnten. Ich glaube, so von Dezernatsleiter zu Dezernatsleiter geht das wesentlich schneller, als wenn ich da vorstellig werden würde.«
»Das glaube ich zwar nicht, aber bitte.«
Er griff zum Telefon.
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