Duerers Haende
ersatzlos auf einen meiner besten Mitarbeiter verzichten. Wenn sich sein Aufenthalt hier noch über Tage oder gar Wochen hinziehen sollte, wäre ich gezwungen, umgehend Ersatz anzufordern. Was ich eigentlich schon längst hätte machen sollen.«
Nach diesem Horsd’œuvre ließ sie ein paar Sekunden verstreichen, bevor sie der Ärztin die Hauptspeise servierte, garniert mit einem bitteren und gleichzeitig verständnisvollen Lächeln.
»Ich fürchte nur, dass sich sein Aufenthalt hier länger hinzieht, als uns allen, mir und meinen Mitarbeitern, lieb sein kann. Auch wenn er versucht, seinen Zustand mir gegenüber herunterzuspielen. Ihm würde gar nichts fehlen, von ein paar Prellungen abgesehen. Wenn es nach ihm ginge, wäre er lieber heute als morgen wieder an seinem Arbeitsplatz. Aber Sie beziehungsweise das Theresien-Krankenhaus würden ihn ja nicht gehen lassen.«
Jetzt kam das Wichtigste – der Schluss, die Nachspeise -: vorsichtig, ganz vorsichtig nachzuwürzen mit einer Prise Ironie.
»Weil Ihnen die Patienten fehlen, um Ihre Betten optimal auslasten zu können. Meint Herr Bartels.« Sie sah fragend zu der Ärztin auf.
Dr. Leipold, deren Miene sich während dieser rhetorischen Glanzleistung immer mehr verfinstert hatte, holte tief Luft. »So, so. Da hat Herr Bartels Ihnen etwas anderes gesagt als uns. Wir nämlich würden ihn auch lieber heute als morgen an seinen Arbeitsplatz zurückschicken, das können Sie mir glauben. Die Untersuchungen sind abgeschlossen, etwas Ernsthaftes haben wir nicht gefunden. Doch trotz mehrmaliger Versicherung unsererseits, dass ihm nichts fehlt, weigert er sich, sein Bett zu räumen. Die Untersuchungen, auf denen er weiterhin besteht, sind teuer und überflüssig. Und dann, wir sind hier ein städtisches Krankenhaus, keine Privatklinik. Bei uns steht an erster Stelle der ärztliche Erfolg, nicht der wirtschaftliche.«
»Ach, das freut mich aber zu hören«, tat Paula Steiner erstaunt. »Ja, wenn das so ist, dann kann ich ja bald wieder mit Herrn Bartels rechnen. Da kann ich mir die Suche nach einem Ersatz wohl sparen.«
»Ja, das können Sie mit Sicherheit«, versicherte die Ärztin grimmig. »Ich werde heute noch mit ihm darüber reden. Eingehend reden.«
Das klang in ihren Ohren himmlisch. »Aber Sie sagen ihm doch nichts von unserer Unterhaltung? Ich möchte nicht, dass er das Gefühl hat, übergangen zu werden. Wohl ist mir bei dem Gedanken nicht, dass ich Ihnen gegenüber seine Befürchtungen, die in seiner Lage ja verständlich sind, ausgeplaudert habe. Hinter seinem Rücken sozusagen.«
»Da brauchen Sie sich keine Gedanken zu machen. Für ein solches Gespräch brauche ich nicht die Vermutungen des Herrn Bartels, da reicht mir seine Krankenakte vollständig aus.«
Noch bevor Paula Steiner den Aufzug betrat, war ihr Ohne-Wenn-und-Aber-Plan vergessen und hatte sich das schlechte Gewissen ihrem Kollegen gegenüber in nichts aufgelöst. An seine Stelle war ein rapide wachsender Ärger getreten, der, als sie im Erdgeschoss angekommen war, Formen eines Tobsuchtsanfalls anzunehmen drohte.
Das hätte sie sich doch denken können! Heinrich mit seinen Schwänzwochen, der immer mal wieder für zwei oder manchmal drei Wochen einfach untertauchte und für niemanden erreichbar war. Auch für sie nicht. Der den gelben Schein erst dann nachreichte, wenn er angeblich wieder gesund war. Das hatte sie bislang alles klaglos ertragen, ihm auch oft genug die Scherereien mit dem Krankenschein abgenommen. Doch dass er sie so kalkuliert hinterging, sie mit ihren eigenen Schuldgefühlen austrickste, das war ein hundsgemeiner Verrat, der nach ebenso kalkulierter und hundsgemeiner Rache schrie. Da aber Rache ein Gericht ist, das man am besten kalt, eiskalt serviert, verzichtete sie darauf, zu ihm, der immer noch heiter und ahnungslos in der Cafeteria bei Kaffee und Kuchen saß, hinzustürmen und ihm ihre Enttäuschung entgegenzubrüllen.
Als sie zu ihrem Wagen ging, waren Ärger und Wut verraucht und hatten einem Anflug von Schadenfreude Platz gemacht. Den Fall Bartels hatte sie so gut wie gelöst. Jetzt konnte sie sich auf ihren zweiten Fall konzentrieren. Ab sofort würde sie sich nur mehr um den gut aussehenden Abdulaziz Shengali mit seinem markanten Mund kümmern. Und dabei, war sie in diesem kurzen Moment überzeugt, sicher genauso schnell zum Ziel kommen.
2
Zwanzig Minuten später parkte sie den BMW auf dem Innenhof des Präsidiums. Wer sie die Treppe zur Teppichetage so blendend
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