Duerers Haende
Zwei Minuten später hatte sie die Zusicherung, über Frau Brunner »verfügen« zu können, so lange sie die Praktikantin und Kommissaranwärterin für den Fall Shengali benötigte.
Während des Telefonats hatte sie sich vorgenommen, auf dem Weg zurück in Sandra Reußingers Büro die Friedensfahne zu hissen. Sie bereute ihr Verhalten der Sekretärin gegenüber, nicht zuinnerst, aber zumindest so, dass es für eine kleine Nettigkeit reichen würde. Doch das sollte heute ihr Tag der uneingelösten guten Vorsätze werden, denn das Sekretariatszimmer war verwaist.
Als sie ihr Büro betrat, wartete Eva Brunner bereits auf sie. Mit einem prall gefüllten Leitzordner unter dem linken Arm, die Mütze in der rechten Hand stand sie aufrecht vor dem Stahlschrank und strahlte.
»Ich hätte mich schon in den Fall eingearbeitet, wusste aber nicht, welcher Schreibtisch mir künftig zusteht.«
Ein Missverständnis, das sie behutsam aufklären musste.
»Also, der hier«, sie tippte auf den leer gefegten grauen Stahltisch, auf dem lediglich ein PC und ein Becher mit Schreibutensilien standen, »ist meiner. Und der rechte«, sie deutete auf den daran bündig anschließenden, mit Aktenstapeln zugehäuften Weichholzschreibtisch, »gehört Herrn Bartels. Den können Sie gerne benutzen, bis mein Kollege wiederkommt. Ich rechne spätestens am kommenden Donnerstag mit ihm. Spätestens. «
Als sie die nach unten gerutschten Mundwinkel Eva Brunners sah, fügte sie hinzu: »Wenn nicht, wäre es natürlich schön, wenn Sie mich auch darüber hinaus unterstützen könnten.«
Dieser Zusatz zauberte ein hoffnungsvolles Lächeln in das Gesicht der jungen Frau.
Paula schaltete ihren Computer ein. »Als Erstes fahren wir zur Familie des Ermordeten. Dazu brauchen wir die Adresse. Möchten Sie das machen?«
»Bitte«, Eva Brunner klappte ihren Ordner auf und überreichte ihrer Interimsvorgesetzten ein Blatt Papier, »das habe ich schon für Sie ausgedruckt.«
»Das ging aber fix. Sind Sie immer so schnell?«
»Aber Frau Steiner, das ist doch leicht, das lernt man gleich am Anfang seiner Polizeiausbildung.«
Sie besah sich das Blatt. Abdulaziz Shengali, geboren 1970 in Basra, dort aufgewachsen, gelernter Kfz-Meister, 1998 nach Deutschland geflohen, 2000 als politischer Flüchtling anerkannt, verheiratet mit Ghofram Shengali, dreifacher Familienvater, wohnhaft in der Pillenreuther Straße.
»Gut, dann fahren wir.«
»Soll ich mich um das Auto kümmern?«
Sie musste hin und wieder Praktikanten in ihrem Sachbereich durchlaufen lassen und hatte dabei die unterschiedlichsten Personen kennengelernt, aber keine, die mit einem derart ausgeprägten Diensteifer und offensichtlichem Vergnügen bei der Sache war. Aus dem ersten Impuls heraus hätte sie fast geantwortet: »Ja, bitte, machen Sie das.« Aber eben nur fast. Stattdessen sagte sie: »Das ist nett, aber nein danke. Sie sollen ja hier etwas lernen. Und dass man den Wagen vorfährt, solche Sachen gibt es im Polizeialltag nicht. Die passieren nur im Fernsehen, in alten Krimiserien.«
Auf dem Weg Richtung Aufseßplatz überlegte sie, ob sie die Kollegin darauf hinweisen sollte, ausschließlich ihr bei Familie Shengali das Wort zu überlassen. Sie entschied sich dagegen. Nein, dieser Hinweis war bei Frau Brunner sicher überflüssig.
Endlich hatten sie im Zentrum der Südstadt einen halbwegs legalen Parkplatz gefunden und standen nun vor einem abstoßenden Mietshaus aus den fünfziger Jahren. Isolierverglaste Fenster, schmucklose beigefarbige fleckige Fassade, unablässiger Verkehrslärm trotz Ferienzeit.
Sie las die Namen unter den Klingelknöpfen. Die meisten waren serbisch oder kroatisch, vier offenbar türkisch. In dem Augenblick, als sie auf den Klingelknopf der Shengalis drückte, wurde die Haustür im Glasbaustein-Look von innen aufgestoßen, und ein dürrer Teenager – ob Mädchen oder junge Frau konnte sie unter dem zentimeterdick aufgetragenen Make-up und Rouge nicht ausmachen – blickte sie aus kajalumrandeten Augen feindselig an. Sie erkannte in dem grellbunt geschminkten Gesicht den perfekt gezeichneten Mund des Abdulaziz Shengali wieder. Auch die Kleidung, bauchfreies lilafarbenes Top, blaue und teuer wirkende Jeans, rote Marken-Sneakers mit Strass-Sternchen, zeugte von dem Mut der Jugendlichen zu absonderlichen Farbenkombinationen, weniger von Geschmack.
Als der Teenager sich rüde an ihnen vorbeigedrückt hatte, rief sie ihm nach: »Wir möchten zu Ghofram
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