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Duerers Haende

Duerers Haende

Titel: Duerers Haende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Kirsch
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Nacht ausblieb?«
    »Nicht nur manchmal, mein Papa war meistens die ganze Woche weg. Von Montag in der Früh bis Freitagabend, da kam er dann wieder zurück. Mein Papa ist doch Lastkraftwagenfahrer.« Man konnte hören, wie stolz die Tochter auf ihren Vater und dessen Beruf war.
    »Darum habt ihr auch keinen Verdacht geschöpft, als er gestern Nacht ausblieb? Die Antwort hätte ich jetzt gerne von deiner Mutter.«
    »Was ist Verdacht geschöpft?«
    »Einen Verdacht haben, etwas Auffälliges bemerken.«
    Nach Solins Übersetzungsdiensten redete Ghofram Shengali zum ersten Mal laut und erregt.
    »Doch, sagt sie, ihr ist schon was aufgefallen. Sie hat Verdacht geschöpft. Etwas war anders als sonst. Unser Papa ruft uns nämlich abends immer um halb neun an, mit dem Handy. Er sagt uns dann, es geht ihm gut, wir sollen an ihn denken und dass er auch viel an uns denkt. Aber gestern Abend hat er nicht angerufen. Und Mama konnte ihn nicht erreichen. Sie hat sich dann gedacht, er hat den Anruf um halb neun vergessen. Später ist er ihm bestimmt wieder eingefallen, aber da wollte er uns halt nicht mehr stören. Weil wir doch eigentlich alle um neun Uhr im Bett liegen sollen. Aber als heute in der Früh unser Papa noch immer nicht angerufen hatte, hat sich meine Mutter schon Sorgen gemacht.«
    Klaus hatte nichts von einem Handy, das man bei dem Toten gefunden hatte, erwähnt. Sie durfte nicht vergessen, ihn danach zu fragen, wenn sie wieder im Präsidium war. »Bei welcher Spedition hat dein Vater gearbeitet?«
    »Bei Frey-Trans, beim Herrn Frey. Am Hafen.«
    »Wie ist er da hingekommen? Hatte er ein Auto?«
    »Nein, noch nicht. Aber er hat darauf gespart. Noch in diesem Jahr, hat er gesagt, können wir uns ein Auto leisten. Er wollte ein deutsches Auto, einen Opel. Bis dahin musste er noch mit der U-Bahn in die Frankenstraße fahren, dann in den Bus umsteigen und ab der Hafenstraße zu Fuß gehen. Manchmal hat ihn auch ein Freund mitgenommen.«
    »Ein Freund?«
    »Ja, ein Kollege, der schon ein Auto hat. Aber nicht oft.«
    »Wie heißt dieser Freund?«
    »Chanim Ostapenko.« Ghofram Shengali blickte auf, diesen Namen kannte sie. Paula Steiner machte sich die erste Notiz.
    »Das ist ein Arbeitskollege deines Vaters?«
    »Ja. Und ein Freund. Beides.«
    »Auch aus dem Irak?«
    »Nein. Aus Kasachstan.«
    »Bei deinem Vater hat man einen Geldbeutel gefunden, hundertzwanzig Euro waren drin. Ist das normal, dass er mit so wenig Geld ins Ausland gefahren ist?«
    »Ja, sagt Mama. Das war eigentlich schon viel Geld. Denn das meiste, was er für seine Fahrten brauchte, konnte er mit so einer Karte zahlen.«
    Paula Steiner nickte ihrer Kollegin kurz zu und stand auf. »Das ist alles im Moment«, sagte sie und streckte Frau Shengali die Hand hin. Als sie bereits an der Wohnzimmertür angelangt war, drehte sie sich nochmals um. Sie wollte mit dieser Frau, die wie in einer Gefängniszelle, in einer unverständlichen Welt mit einer fremden Sprache, fremden Sitten, fremder Kleidung, fremden Menschen lebte, wenigstens zum Abschied in eine direkte Verbindung treten. Also sagte sie laut und deutlich: »Danke schön.«
    Solin begleitete sie zur Wohnungstür. Ihr Blick hatte jetzt etwas Hilfesuchendes, fast Flehendes. »Wer hat das getan? Wer hat meinen Papa umgebracht?«
    »Ich weiß es noch nicht«, antwortete Paula Steiner, »aber wir werden denjenigen finden.«
    Vor dem Haus atmete sie tief durch und blickte gedankenverloren auf den Aufseßplatz.
    »Das hatte ich mir schlimmer vorgestellt«, sagte Eva Brunner, während sie den korrekten Sitz ihrer Mütze überprüfte. »Von denen hat ja keiner geweint.« Es klang fast empört.
    »Das kommt schon noch. Bald kommt das. Bis jetzt haben wir ihnen ja keine Chance gelassen, es zu verstehen. Zuletzt werden es die Kinder begreifen.«
    Auf dem Weg zum Auto fragte sie: »Und sonst, was ist Ihnen sonst aufgefallen, Frau Brunner?«
    »Dass die Tochter sauteure Markenklamotten trug, während sich ihr Vater einen popeligen Opel vom Mund abspart.«
    »Ja. Noch was, was Ihrer Meinung nach aus dem Rahmen fällt?«
    »Die Mutter trägt Kopftuch, langärmlige Kleider und gedeckte Farben, die Tochter dagegen ist aufgebrezelt bis zum Gehtnichtmehr, fast schon ordinär. Das passt doch nicht zusammen!«
    »Warum nicht? Dass die Mutter sich wie eine gläubige Muslimin kleidet, also was wir darunter so verstehen, ist ihre Entscheidung. Dass die Tochter sich so ganz anders, sehr westlich, kleidet, ist die Entscheidung

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