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Duerers Haende

Duerers Haende

Titel: Duerers Haende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Kirsch
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Shengali.«
    »Was wollen Sie von der?« Die Stimme einer Dreizehn-, höchstens Vierzehnjährigen.
    »Mit ihr sprechen.«
    »Ich bin Solin Shengali, die Tochter. Meine Mutter spricht kein Deutsch, die versteht Sie nicht. Sagen Sie mir, was Sie von ihr wollen.« Die Stimme einer Dreizehn-, höchstens Vierzehnjährigen, die das Befehlen gewohnt war.
    »Am besten, du gehst mit und übersetzt deiner Mutter, was wir ihr zu sagen haben.« Die Stimme einer Achtundvierzigjährigen, die ebenfalls das Befehlen gewohnt war.
    Man sah Shengalis Tochter an, wie hin- und hergerissen sie zwischen Aufbegehren und Fügen war. Dass sie sich schließlich für Letzteres entschied, war sicher ihrer Neugier geschuldet, vermutete Paula Steiner. Oder Eva Brunners Uniform.
    Ein schmales Treppenhaus mit Kunststeinstufen und dünnem Metallgeländer, auf den Etagen ausgefranste Bastvorleger. Ein eigenartiger Geruch, süß und scharf zugleich, stieg ihr in die Nase. Als das ungleiche Trio in der dritten Etage angelangt war, klingelte Solin Sturm. Es dauerte eine Weile, bis ihnen eine große, gedrungene Frau öffnete. Auffallend heller Teint, riesige braune Reh-Augen, unförmige blaue Pluderhose, karierte Bluse, wattierte braune Weste, braunes Kopftuch. Kein Ehering. Sie blickte die Kommissarin fragend an. Als sie Eva Brunner sah, huschte ein Schleier über ihre großen ausdrucksvollen Augen. Sie sagte nichts, deutete lediglich auf die Schuhe vor der Wohnungstür.
    Dann wurden sie eingelassen und durch die handtuchschmale Diele in ein vollgestelltes überheiztes Zimmer geführt. Paula zählte zwei Sofas, zwei Sessel, einen niedrigen Couchtisch, sechs Stühle um einen Esstisch, eine Schrankwand. Auf den Sofas lümmelten ein Junge im Vorschulalter und eine etwa zwei Jahre jüngere Ausgabe von Solin, offensichtlich ihre Schwester. Der Fernseher lief.
    Stehend zwischen Tür und Schrankwand stellte sie sich vor. Ihren Vorschlag, die zwei jüngeren Kinder zumindest für die nächste Viertelstunde aus dem Zimmer zu schicken, lehnte Solin Shengali so brüsk wie selbstbewusst ab. Also überbrachte sie ihre Nachricht in Gegenwart aller, wobei sie Frau Shengali nicht aus den Augen ließ. Solin übersetzte. Der Nebelschleier über den schönen dunkelbraunen Augen wurde dichter. Als sie geendet hatte, war es in dem stickigen Zimmer still. Nur aus dem Fernseher drangen fröhliche Gesprächsfetzen einer Kindersendung, eine bizarre Geräuschkulisse für diese Art Nachricht.
    »Es tut mir sehr leid, was mit Ihrem Mann passiert ist. Wir werden alles daran setzen, den oder die zu finden, der das getan hat.«
    Ghofram Shengali nickte und murmelte etwas, das sie nicht verstand. Paula Steiner sah fragend zu Solin. Da wiederholte deren Mutter, die der Kommissarin wohl unbedingt auf Deutsch antworten wollte, ihr »Danke schön« laut und verständlich.
    Paula registrierte erleichtert, dass die Witwe, vor wenigen Sekunden noch eine Ehefrau, gefasst war. Sie würde vor ihnen nicht in lautes Wehgeschrei oder haltloses Weinen ausbrechen, nur eine Träne löste sich langsam aus dem Nebelschleier und rollte die Wange herunter, bis sie von dem Kopftuch, das auch den Hals und die obere Brust verdeckte, aufgesaugt wurde. Frau Shengali machte eine einladende Bewegung zu all den im Raum verteilten Sitzmöbeln. Paula Steiner setzte sich an den offensichtlich neuen Esstisch aus Kiefernholz mit seinen unschön wirkenden Astlöchern, ihre Gastgeberin nahm ihr gegenüber Platz. Eva Brunner folgte der Einladung nicht, sie blieb mit vor der Brust verschränkten Armen stehen.
    »Meine Mutter fragt, ob Sie Tee möchten.«
    »Das ist sehr freundlich. Aber danke, nein. Ich hätte noch ein paar Fragen. Aber wenn ihr jetzt allein sein wollt, kann ich auch später wiederkommen«, sagte sie an die Tochter gewandt.
    »Das ist nicht nötig. Bitte fragen Sie.«
    »Dein Vater trug eine Kette. Eine Goldkette?«
    »Nein. Bei meinem Vater liegen die Organe seltenverkehrt. Deswegen trägt er immer eine ganz normale Metallkette mit einer Plakette daran. Damit die Ärzte, wenn er einen Unfall hat, sofort Bescheid wissen.«
    »Er hatte, als wir ihn fanden, ein Käsebrot bei sich. Und kleingeschnittenen Kohlrabi. Hat deine Mutter ihm das hergerichtet? Und wann war das?«
    »Ja, das war unsere Mama. Sie hat ihm immer, wenn er von hier aus zur Arbeit gefahren ist, ein belegtes Brot und Gemüse mitgegeben. Das Brot und der Kohlrabi waren von gestern früh.«
    »Ist es manchmal vorgekommen, dass dein Vater über

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