Duerers Haende
das der Mörder mit dem Leichnam vor dem Wasserwerk getrieben hatte? Sprach nicht aus der arrangierten Gestik der betenden Hände dieselbe anmaßende Häme wie aus dem Hausaltar in seiner Aufpepper-Funktion? Oder waren das nur Wunschgedanken einer Kommissarin, die bislang lediglich den Schatten eines winzigen Spätzchens gesehen hatte, von einer fetten, greifbaren Taube auf dem Dach ganz zu schweigen?
An der Wohnungstür drehte sie sich noch einmal um und überreichte Kramers Freundin ihre letzte, leicht angeschmutzte Visitenkarte. »Wenn Ihnen noch etwas einfällt, rufen Sie mich bitte an, Frau Blahotova. Was werden Sie jetzt machen? Werden Sie in Nürnberg bleiben?«
Die Tschechin sah sie entsetzt an, als sei sie eine Hausiererin, die ihr gerade fleischfarbene Unterwäsche aus hundert Prozent Synthetik andrehen wollte. »Nein, natürlich nicht. Ich werde nach Hause zurückfahren. Nach Prag. In meine Heimat.«
Als sie in den Wagen einstiegen, machte der bislang schweigsame Heinrich seiner Bewunderung Luft. »Mensch, hatte der Kramer ein Glück! Erst die fette Wohnung. Dann der Audi. Und noch so eine Super-Traumfrau dazu! Ich glaube, ich werde jetzt auch privater Arbeitsvermittler.«
»Du willst mir doch nicht ernsthaft sagen wollen, dass dich dieses langweilige Barbiepüppchen mit seinen roboterhaften Bewegungen und seinem sehr beschränkten Horizont irgendwie reizen könnte? Das kann ich mir nicht vorstellen. Was willst du denn mit der machen, Abend für Abend, Jahr für Jahr? Dich über dein Burn-out-Syndrom unterhalten oder eine gepflegte kunsthistorische Konversation über Dürers Mittlerrolle zwischen Spätgotik und Frührenaissance führen?«
»Natierlich nicht«, ahmte Heinrich den slawischen Akzent seiner Traumfrau nach, »ich mechte mit ihr gern machen, was man mit Barbiepuppen eben so macht – ich mechte mit ihr spielen. Abend für Abend, Jahr für Jahr.« Er lachte sie verschmitzt an.
Da musste auch sie lächeln. »No«, sagte sie, »da muss der kleine Ken aber erst noch viel Geld verdienen, damit das Püppchen umgekehrt auch mit ihm spielen mechte.«
Dann herrschte Schweigen im BMW. Sie dachte über das Gespräch mit Susanka Blahotova nach, das sie jetzt im Nachhinein seltsam berührte. Eine junge Frau, die ihr Leben ganz auf einen einzigen Menschen ausgerichtet hatte. Eine überaus attraktive Person, die die Tage damit verbrachte, sich und Kramers Wohnung zu pflegen. Und die Nächte damit, für ihn da zu sein oder auf ihn, der bei der Arbeit nicht gestört werden wollte, zu warten. Was für ein armseliges Dasein! Und jetzt, da ihre Dienste als Raumpflegerin und dekorativer Kleiderständer nicht mehr vonnöten waren, musste sie wie eine Tagelöhnerin die Stadt verlassen und dahin zurückkehren, woher sie gekommen war. »Nach Hause, in meine Heimat«, hatte sie gesagt. Das – und nicht die Reaktion auf die Nachricht vom Tod ihres Freundes – war der emotionalste Teil dieser knappen Unterhaltung gewesen.
Ja, es stimmt schon, dachte sie, Heimat entsteht erst dann, wenn wir nicht nur Zuschauer oder Besucher sind, sondern uns als Teil eines Ganzen verstehen, wenn wir an einer Entwicklung teilhaben. Wenn wir arbeiten. Darum war der Lkw-Fahrer Abdulaziz Shengali aus dem fernen Irak in Deutschland heimisch geworden, und darum fühlte sich die sechsundzwanzigjährige Susanka Blahotova aus dem nahen Tschechien hier immer noch als Fremde. In diesem Augenblick war sie froh, eine Arbeit zu haben. Auch wenn diese nun zum Spielball der Mächte zwischen Trommen, Bauerreiß und Fleischmann verkommen war.
»Und sonst, außer dass du jetzt deine Traumfrau gefunden hast, was hat diese Wohnungsbegehung noch für dich ergeben?«
»Nicht viel. Eigentlich nur diese angebliche Besprechung mit dem angeblichen Kunden am Montagabend. Aber selbst das muss nichts bedeuten.«
Sie hatte die Phantasie ihres Mitarbeiters, seine Fähigkeit zum Rumspintisieren, überschätzt. Sie war überzeugt gewesen, er würde ihr spätestens jetzt eine wort- und bilderreiche Verknüpfung zwischen Shengalis Händen und dem Schnitzwerk auf der Glaskonsole präsentieren. Aber anscheinend hatten sie beide in den letzten Tagen die Rollen gewechselt. Aus dem erfindungsreichen Heinrich mit seiner überschäumenden Vorstellungskraft war ein geerdeter Oberkommissar geworden, den nur mehr die Fakten interessierten, während sie zeitgleich von der bekennenden Realistin zur Traumtänzerin mutiert war, die zudem Gefallen an ihren abenteuerlichen
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