Duerers Haende
fragen.«
»Macht nichts.«
Sie genoss diese Fahrt und vor allem Heinrichs Anwesenheit. Es war wieder wie immer, wenn sie gemeinsam unterwegs waren. So ganz recht hatte Paul doch nicht. Arbeit konnte mehr sein, als nur den Tag irgendwie rumzubringen. Die soziale Komponente, dachte die ehemalige Soziologiestudentin, ist entscheidend. Wenn die Kollegen erträglich oder mehr noch: umgänglich und einem wohlgesonnen waren, dann konnte Arbeit sogar Vergnügen machen.
»Mensch«, Heinrich schlug verärgert aufs Lenkrad, »jetzt habe ich noch was vergessen, und zwar die Kollegen und unseren Schlüsseldienst in die Schmausenbuckstraße einzubestellen.«
»Vielleicht ist das gar nicht erforderlich. Vielleicht gibt es ja doch eine Ehefrau beziehungsweise eine Freundin. Oder einen Hauswart, der uns die Tür aufschließen kann. Die können wir immer noch hinbestellen. Das ist doch nicht tragisch, Herr Alzheimer.«
Sie hatten Kramers Adresse erreicht. Die riesige alte, dreigeschossige Villa lag tief in einem Garten versteckt. Er war gut gepflegt, wirkte aber langweilig. Hier und da ein paar Laubbäume, gestutzte Hecken, ansonsten nur Rasen. Neben der schweren handgeschmiedeten Gartenpforte mit den Lilienspitzen ein modernes Klingelschild mit drei Namen. Demnach lag Kramers Wohnung in der Beletage. Sie klingelte. Sofort schnappte die Tür auf. An der Haustür das zweite Klingelschild mit Gegensprechanlage. Auch hier sprang die Tür beim ersten Läuten auf. Eine breite Holztreppe führte sie in den ersten Stock.
Oben erwartete sie eine große, überschlanke Frau Anfang oder Mitte dreißig. Sie trug eine hellgrüne Seidenbluse und einen auberginefarbenen langen Rock, der über ihre ebenfalls aus auberginefarbenem handschuhweichen Leder gefertigten Stiefel fiel. Sie hatte fast taillenlanges schwarzes Haar, ein klassisch geschnittenes Gesicht und grüne Augen, die sich beim Anblick der beiden Kommissare überrascht weiteten. Sie hatte jemand anderes erwartet.
»Ja, bitte«, sagte sie völlig ausdruckslos, »was möchten Sie?«
Sie zeigte der kühlen, gepflegten Schönheit mit dem makellosen Make-up und dem starken tschechischen Akzent ihren Ausweis, den diese mit dem Satz kommentierte: »Herr Kramer ist nicht da.«
»Ja, das wissen wir. Das ist im Übrigen mein Kollege, Herr Bartels. Und Sie sind?«
»Die Freundin von Herrn Kramer.«
»Die doch bestimmt auch einen Namen hat. Oder?«
»Ich heiße Susanka Blahotova.« Noch immer machte die Frau keine Anstalten, sie in die Wohnung zu bitten.
»Dürfen wir hereinkommen?«
»Karsten möchte das nicht, dass Fremde in seine Wohnung kommen.«
Jetzt erst bemerkte sie den hellgrünen Lidstrich, der perfekt zu dem Farbton der Seidenbluse passte. Diese Frau war ein Gesamtkunstwerk, und dieses Kunstwerk musste jeden Tag aufs Neue erschaffen werden. Sie fand das bewundernswert und auch ein wenig befremdend, wie jemand so etwas fertigbrachte. Noch befremdender allerdings fand sie es, wenn sich dieser Jemand die Mühe freiwillig zu machen schien.
»Herr Kramer ist letzte Nacht ermordet worden. Es spielt also keine Rolle mehr, was Herr Kramer möchte oder nicht möchte.«
Da war es für einen Moment um die Contenance dieser lebensgroßen Barbiepuppe geschehen. Susanka Blahotova murmelte etwas auf Tschechisch, richtete sich dann aber schnell wieder zu ihrer vollen beeindruckenden Größe auf und sagte: »Das glaube ich nicht. Gestern war er noch da.«
Langsam ging ihr die Geduld aus. »Und heute ist er tot. So, Frau Blahotova, jetzt zeigen Sie mir mal Ihren Ausweis oder Pass, und dann werden wir die Wohnung Ihres Freundes durchsuchen. Wenn Sie uns nicht stören, das heißt im Weg rumstehen, dürfen Sie gerne dableiben und dabei sein.«
Frau Blahotova überlegte. Paula Steiner sah ihr dabei zu. Verfolgte, wie das Gesamtkunstwerk so angestrengt nachdachte, dass dessen hübscher Kopf in Mitleidenschaft gezogen wurde: Sollte sie sich dieser kleinen und nachlässig gekleideten Polizistin fügen, oder sollte sie auf ihrem Hausrecht bestehen? Da ihr Kramer solche diffizilen Entscheidungen bislang offenbar abgenommen hatte und sie demzufolge überfordert war, wählte sie den einfachen Weg. Sie trat einen Schritt zur Seite und ließ die Polizisten eintreten.
»Bitte, kommen Sie herein. Ich werde nicht stören. Ich hole meinen Pass.«
Würdevoll und gemessenen Schrittes ging Susanka Blahotova voran. Nach kaum drei Metern blieb sie vor einem stabilen gläsernen Beistelltisch mit einem kleinen
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