Düsterbruch - Almstädt, E: Düsterbruch
zeigte keinerlei Regung.
Pia wurde der Mund trocken. Sie kannte jemanden, der zum BKA gewechselt und dem sogar zuzutrauen war, dass er sich hin und wieder in der Gegend aufhielt. Aber sie konnte jetzt unmöglich mit ihm sprechen. »Hat der Kollege vom BKA auch einen Namen?«
»Tut mir leid, es war ein bisschen hektisch vorhin. Ich habe ihn noch nicht gesehen. Sein Besuch ist mir nur von der Zentrale gemeldet worden.« Gabler hob abwehrend die Hände. »Ich bin selbst überrascht von diesem Überfall. Wir werden sehen. Wie gesagt, ich wäre gern dabei, doch es geht nicht.« Und weg war er.
Verdammt. Wir werden sehen! Aber dann würde es definitiv zu spät sein. Sie konnte jetzt unmöglich mit Marten reden.
Pia spürte ihr Herz klopfen. Sie hätte längst in den Mutterschutz gehen sollen. Spätestens gestern. Dann wäre ihr diese Situation erspart geblieben. Wie sollte sie Marten Unruh hochschwanger gegenübertreten, in dem Wissen, dass er der Vater ihres Kindes sein konnte, und ohne es ihm gesagt zu haben?
Halt, stopp! Wie hätte sie es ihm sagen sollen? Er hatte nicht gerade seine Kontaktdaten bei ihr hinterlassen. Außerdem waren diese Spekulationen müßig, denn Hinnerk war der Vater ihres ungeborenen Kindes. Allen Berechnungen nach und auch dann, wenn das Schicksal, wer oder was auch immer das war, einen Funken Mitgefühl für sie übrighatte.
Nein, Mitgefühl war nicht zu erwarten. Pia hatte ein so beklemmendes Gefühl im Brustkorb, dass sie kaum noch Luft bekam.
Sie erhob sich und ging den leeren Gang hinunter. Die Tür zum Besprechungsraum war geschlossen. Pia zögerte einen Moment, holte tief Luft und drückte die Türklinke herunter. Zumindest würde sie gleich wissen, woran sie war. Die Ungewissheit war am schlimmsten. Bestimmt hatte sie sich umsonst verrückt gemacht.
Die Tür schwang auf. Der Besprechungsraum war leer. Kein Mensch da. Nicht Marten Unruh und auch sonst niemand. Pias Erleichterung wandelte sich in Ärger, als sie über leere Tische und Stühle zu den spiegelnden Fensterflächen blickte, hinter denen es langsam dämmrig wurde.
5. Kapitel
E ine Weile stand Pia nur abwartend da. Ihre Beine fühlten sich schwer an, setzen wollte sie sich aber auch nicht. Sie hatte Gabler zugesagt, dieses Treffen wahrzunehmen.
Als nach zehn Minuten immer noch niemand aufgetaucht war, beschloss sie, BKA BKA sein zu lassen. Konnten die nicht vernünftig kommunizieren und anständige Termine verabreden? Sie war schon auf dem Weg zur Tür, als sie Schritte auf dem Gang hörte. Pia hielt die Luft an. Sie merkte, wie ihr schwindelig wurde, und zwang sich, langsam auszuatmen. Nicht dass sie hyperventilierte, wenn Marten Unruh gleich den Besprechungsraum betreten sollte!
Die Tür schwang auf, und ein ihr völlig unbekannter Mann trat ein. Der BKA -Beamte war groß und hatte Schultern wie ein Rugby-Spieler. Er trug ausgewaschene Jeans, ein graues T-Shirt und eine offene, schwarze Fleecejacke darüber. Ein inoffizieller Besuch. Sie schätzte den Mann auf Anfang bis Mitte vierzig, mit den entsprechenden Problemen, auf lange Sicht so in Form zu bleiben wie jetzt. Sein Kopf war kahl rasiert, dafür trug er einen bleistiftdünnen Bart, der seinen Mund umrahmte.
Seine dunklen Augenbrauen schnellten in die Höhe, als er Pia sah. In der einen Hand hielt er eine Flasche Mineralwasser, in der anderen eine Notebook-Tasche.
Pia atmete auf. Die Anspannung, womöglich gleich Marten gegenüberzustehen, verflüchtigte sich.
Nachdem das Überraschungsmoment vorbei war, wirkte der BKA -Beamte eher desinteressiert. Er ging zu dem vorderen Tisch neben dem Whiteboard und stellte seine Sachen ab. Vielleicht fiel ihm auf, dass sie noch kein Wort miteinander gewechselt hatten, jedenfalls sagte er: »Oh, hallo. Falls Sie sich wundern: Ich habe gleich einen Termin mit zwei Kollegen aus dem Kommissariat eins, Korittki und Broders. Ich soll hier auf sie warten.«
Was dachte er, wer sie war? Die Putzfrau? Na prima! Dann könnte sie ja jetzt wieder gehen, und Korittki und Broders würden eben nicht auftauchen. Geschähe dem Kerl recht. Andererseits wollte Pia schon gern wissen, was das Bundeskriminalamt an dem Fall Seesen, einem klassischen Suizid in ländlichem Milieu, interessierte.
»Ich wundere mich nicht«, sagte sie. »Ich bin Pia Korittki.«
»Ach so. Franz-Xavier Lessing – angenehm.« Sein Händedruck war warm und kräftig. Wenn er erstaunt darüber war, dass sein Gesprächspartner die Form einer Boje hatte, verbarg er das
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