Düsterbruch - Almstädt, E: Düsterbruch
Ich treff mich nur mit ’nem Typen auf dem Parkplatz Schnakenkuhl.«
»Was willst du denn da?« Sie wusste sofort, von welchem Ort er sprach, und verzog angewidert das Gesicht.
»Geschäfte, sagte ich doch schon. Wenn du mir nicht glaubst, dann kannst du ja meinetwegen doch mitkommen.«
»Dahin kriegen mich keine zehn Pferde.« Sie streifte ihre Jeans über. Warum hatte er plötzlich seine Meinung geändert? Hatte er sich das mit dem Parkplatz nur ausgedacht, um sie abzuschrecken?
»Komm schon, Tizia. Ich weiß, dass dich das anmacht. Und außerdem ist da heute wahrscheinlich sowieso nichts los.«
»Die Fotos im Internet haben mir gereicht, Andi. Vergiss es. Ich bin nicht neugierig.«
»Aber natürlich bist zu das!« Seine Stimme klang einschmeichelnd. Er zog sie hoch, und sie spürte seinen warmen Atem an ihrem Hals. »Meine süße, kleine, freche Tizz … Du brennst vor Neugierde. Ich kenne dich. Besser übrigens, als du dich selbst kennst.« Das war, was die Reaktionen ihres siebzehnjährigen Körpers betraf, nicht zu leugnen. Seine Hand umfasste ihre Taille. Seine Finger wanderten über ihren flachen Bauch nach oben, streichelten ihre spitzen, kleinen Brüste. Seine Hände spielten auf ihr wie auf der Tastatur eines Keyboards.
»Okay, ich komme mit. Aber nur zum Gucken.«
André ließ schnell, viel zu schnell, wieder von ihr ab.
Minuten später saß sie auf dem Beifahrersitz seines neuen Wagens. Sie beobachtete, wie er im Schein der Armaturenbrettbeleuchtung aus der Stadt fuhr, die Augen konzentriert auf das dunkle Asphaltband vor ihnen gerichtet. Es war ein Fehler, ihm nachgegeben zu haben. Der Parkplatz Schnakenkuhl, der in der Nähe von Düsterbruch lag, war als Treffpunkt für Paare bekannt, die sich beim Sex zuschauen lassen wollten, und das entsprechende Publikum natürlich. »Outdoor-Sex« nannten sie das auf der Website, wie andere Leute Outdoor-Sportarten wie Walking oder Freeclimbing betrieben. André hatte ihr augenzwinkernd vorgeschlagen, sie solle den Namen des Parkplatzes mal in eine Suchmaschine im Internet eingeben, und da hatte sie sie gefunden: Fotos von Männern, die Gesichter mit der Hand bedeckt, die sich im Auto von einer Frau mit rot gefärbten Haaren den Schwanz lutschen ließen. Kopulierende Paare, von hinten und von vorn, zu zweit und zu dritt, auf der Motorhaube des Familienkombis. Schlechte Schnappschüsse von Handys oder einfachen Digitalkameras, ohne jede Finesse. Man sah den Aufnahmen den Geifer, der den Fotografen dabei aus dem Mundwinkel gelaufen war, geradezu an.
Tizia hatte sich schon beim Betrachten der Bilder schmutzig gefühlt. Dass André da unbedingt hinwollte, machte ihn ihr fremd. Und mit zunehmender Fahrzeit steigerte sich ihre Nervosität in echte Besorgnis. Sie wollte nicht die prüde Zicke geben. Sie hatte André überhaupt erst klarmachen müssen, dass sie nicht das Adelstöchterlein mit dem Kaschmirbusen war, über das er sich lustig gemacht hatte. Dass sie weder spießig noch langweilig war wie ihre Eltern. Im Gegenteil, sie verachtete deren Lebensstil. Immer alles auf den letzten Cent nachrechnen, sich nicht das kleinste Vergnügen gönnen. Da konnte man doch gleich in die Kiste steigen, die aus Holz … Und wofür der ganze Verzicht? Für den hässlichen Kasten von einem Haus?
Die Einzige, die einigermaßen gut drauf war, war ihre Großmutter. Veronika, die sie nie »Oma« und keinesfalls »Omi« nennen durfte. Veronika, die ihr von den rauschenden Festen im Gutshaus erzählt hatte: Kleinmädchen-Fantasien von wunderschönen Frauen in Abendkleidern, die nachts betrunken in das Wasserbassin vor dem Portal gestiegen waren, und von Männern, die mit ihren Pferden die Treppe hoch bis in die Eingangshalle geritten waren. Bei der Erinnerung daran kam Tizia die Gegenwart grau und schmutzig vor.
André bog auf den Parkplatz ab. Fehler!, dachte Tizia. Ich hätte nicht mitkommen sollen. Sie presste sich in den weichen Ledersitz des neuen Audi, von dem sie gar nicht wissen wollte, woher er kam. Ihr Vater fuhr einen alten Range Rover. Den hatte er sich vor Jahren angeschafft, um den Pferdeanhänger zu ziehen, wenn er sein Töchterlein zu Reitturnieren in der nahen Umgebung kutschieren musste. Tizias Reitpferd war inzwischen verkauft und wahrscheinlich längst zu Pferdewurst verarbeitet worden, während ihre Eltern immer noch diese alte Gurke fuhren. Sie suchte mit den Augen den schwach beleuchteten Parkplatz ab. Zwei einsame Laternen schafften es nicht, das
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