Düsterbruch - Almstädt, E: Düsterbruch
einen Schritt zurück. Schemenhaft sah sie seine kantige Gestalt. Im Gefängnis war er dünner geworden, und sein neuer Haarschnitt betonte das auch noch.
Wie sie ihn vermisst hatte! »Ich habe zehn Monate auf dich gewartet, André.« Ihre Stimme klang schrill vor Enttäuschung.
»Und ich hab zu tun, Tizz!«
»Freust du dich denn nicht, mich wiederzuhaben?« Tizia war fest davon ausgegangen, dass er während seiner Abwesenheit die gleiche Sehnsucht, die gleiche Ungeduld empfunden hatte wie sie. Die letzten Monate waren für sie nur mit der Erinnerung an ihren letzten gemeinsamen Abend auszuhalten gewesen. Als er sie in den Armen gehalten und, da war sie sich sicher, beinahe geweint hatte …
»Klar freu ich mich. Aber ich hab jetzt wirklich keine Zeit für dich.« Seine Stimme klang distanziert.
»Du glaubst gar nicht, wie schwierig es für mich ist, an einem Sonntagabend so spät noch herzukommen.« Sie hörte, dass sie vorwurfsvoll klang, doch sie konnte nicht anders.
»Da machst du sonst immer auf Familie, was?«, kam es spöttisch zurück. Das war ein Reizwort für ihn. Sein wunder Punkt.
»Nur auf eine Viertelstunde!«
André starrte sie einen Moment lang an. Dann hob er leicht die Schultern. »Wenn du schon mal hier bist …« Er stieß die Tür zum Wohn-Schlaf-Raum seiner Einzimmerwohnung auf. Zerwühltes Bettzeug auf einem Futon, eine knallrote Couch vom Sperrmüll, die ihren Dienst an der Menschheit in einem schwedischen Möbelhaus begonnen hatte, Regale aus Baubohlen und Ytonsteinen. Der Laptop, der aufgeklappt auf dem Fußboden stand, glänzte neu.
»Willst du was trinken? Cola? Bier?«
Sie schüttelte den Kopf. Er sah so überaus lässig aus, barfuß, in Jeans, mit offenem Hemd … Aber die Zeit im Gefängnis hatte ihn verändert. Sein Mund war schmaler geworden, und er hatte dunkle Schatten unter den Augen. Warum tat er in letzter Zeit so verdammt cool? Sie hatte gedacht, nach den zehn Monaten nur unter Männern müsste er geradezu ausgehungert sein. Tizia zog ihre Jacke aus und warf sie über den einzigen Stuhl. Das Trägertop flog hinterher. Die Luft war kühl, aber unter seinem durchdringenden Blick fühlte sich ihre Haut warm an.
»Lila, der letzte Versuch«, sagte er mit Blick auf den BH spöttisch. Sie öffnete den Verschluss, schmiss das Ding hinterher.
»Schon besser. Soll ich noch ein paar Fotos machen?« Er griff nach seinem Handy.
»Hör auf damit. Sonst gehe ich wieder.«
»Wie war das noch? Hilf mir mal. Haben wir es eigentlich schon mal miteinander getrieben?«
»Idiot!« Sie sprang auf ihn zu und hieb ihm ihre Fingernägel, brav rosa lackiert, aber ohne Frage spitz, in die glatt rasierte Brust.
»Jetzt erinner ich mich wieder!« Er zog sie an sich und küsste sie hart. Sie fuhr mit den Händen um seinen Brustkorb, den Rücken hinunter, umschloss mit den Fingern seinen Po. »Ich hab dich ehrlich vermisst«, keuchte er. Sie drängte ihn in Richtung Futon, wo sie beide unsanft und mit verrenkten Gliedern aufprallten, während das flache Holzgestell unter ihnen knirschend nachgab. »Ihr Frauen wollt doch immer nur das eine«, sagte er atemlos, während er mit einer Hand versuchte, ihr die Jeans abzustreifen.
Tizia wand sich und strampelte sich den harten Stoff von den Beinen. Er fuhr mit rauen Fingern unter ihren String, während sie noch mit seiner Gürtelschnalle kämpfte.
»Ich werde zu spät zu meinem Treffen kommen«, flüsterte er, während er sich über sie rollte. Doch Tizia wollte nichts davon hören. Er drang in sie ein, und sie wimmerte vor Lust. Dann ging alles sehr schnell. Ehe sie sich’s versah, stand er schon wieder auf den Beinen und ging ins Bad. Sie lag wie betäubt da, unbefriedigt, enttäuscht, unfähig, sich zu rühren. Er kam wieder ins Zimmer und sah auf sie herunter, als müsste er sich erst erinnern, wer sie war. »Sorry. Morgen früh gibt’s Nachschlag«, sagte er geistesabwesend und zog sich an.
»Wo willst du hin?«, fragte sie.
»Das geht dich nichts an.«
»Ich will aber mitkommen!«
»Keine Chance. Ist was Geschäftliches.«
»Um diese Uhrzeit?« Tizia wurde flau. »Doch nicht wieder was mit Speed oder so?«, fragte sie schneidend. Wegen der Dealerei war er zu zehn Monaten ohne Bewährung verurteilt worden. Damit wollte sie, bei aller Liebe, nichts zu tun haben. Manchmal benahm er sich so, er wäre er siebzehn und sie dreißig … Sie suchte in dem Chaos aus Decken und Laken nach ihrer Unterhose.
»Keine Sorge. Ich bin doch nicht blöd.
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