Düsterbruch - Almstädt, E: Düsterbruch
Areal mit den dunklen Bäumen und Büschen auszuleuchten. Der nasse Asphalt schimmerte ölig. Kein Auto weit und breit. Tizia atmete erleichtert auf.
»Die Kinovorstellung hat wohl noch nicht angefangen«, sagte sie und kramte mit zitternden Händen in ihrer Handtasche nach Zigaretten. In dem neuen Auto durfte sie bestimmt nicht rauchen, aber sie konnte sich ja draußen hinstellen, solange noch niemand da war … Vielleicht kam ja heute überhaupt keiner. Die Verabredung, von der André gesprochen hatte, hatte sie inzwischen vergessen.
»Wenn der nicht pünktlich ist …«, sagte André drohend. Er drehte sich zu ihr um. »Du bleibst in jedem Fall im Auto.« Und mit einschmeichelnder Stimme: »Es ist sicherer für dich, wenn du gar nicht weißt, um was es geht.«
»Du spinnst«, entgegnete Tizia. Die Ernüchterung über die verfahrene Situation legte sich über sie wie ein nasses Tuch. Sie schauderte. »Willst du dir sofort wieder Ärger mit der Polizei einhandeln?«
»Da kommt er!« Andrés Stimme klang heiser. »Du drehst dich nicht um, verstanden? Und lass dich auf keinen Fall sehen, Tizz!«
Der andere Wagen rollte langsam und mit aufgeblendeten Scheinwerfern näher. Er hielt etwa zehn Meter hinter ihnen.
»Warum schaltet der Affe nicht die Scheinwerfer aus?«, fragte André nervös. Ein paar Sekunden passierte nichts. André trommelte mit den Fingerspitzen auf dem Lenkrad herum. Im Radio lief ein alter Song von den Fine Young Cannibals. Die Scheinwerfer des hinteren Wagens erloschen.
»Ich geh jetzt rüber«, murmelte André. »Du schaust nach vorn und rührst dich nicht!« Er strich ihr über die Wange. »Hinterher machen wir noch was Schönes zusammen, okay?« Ein nervöses, aber auch zufriedenes Lächeln kräuselte seine Mundwinkel. Etwas an der Situation amüsierte ihn. Tizia merkte, dass der Witz auf ihre Kosten ging, hatte aber keine Ahnung, weshalb. Sie spürte einen Anflug von Panik.
»Warte!« Sie krallte sich in seinen Oberarm. »Lass mich hier nicht allein sitzen!« Was war denn los mit ihr? Es würde sich schon nicht gleich eine Horde sexbesessener Männer aus den dunklen Büschen auf sie stürzen.
»Hey, Tizz«, sagte er genervt. »Werd mir bloß nicht hysterisch! Du kannst das Auto ja von innen verriegeln, solange ich nicht da bin.« Er zog den Zündschlüssel ab und klapperte damit. »Den nehm ich vorsichtshalber mit.«
Sie presste die Lippen zusammen. Er würde sich nicht von seinem Vorhaben abbringen lassen. Tizia kannte ihn. Sie kannte ihn schon lange. Als Zehnjährige hatte sie ihn angehimmelt, wenn er in Düsterbruch auf seinem Motorrad an ihr vorbeigerast war. Da hatte es angefangen. Sie hatte sich nie für Gleichaltrige interessiert. Was das anging, schlug sie wohl nach Großmutter Veronika, die einen zwanzig Jahre älteren Mann geheiratet hatte.
»Drück mir die Daumen!« Er stieg aus und warf die Wagentür mit einem satten Schmatzen zu. Sie beobachtete im Rückspiegel, wie er langsam auf den hinteren Wagen zuging. Es war ein Golf, ein älteres Modell. Drinnen saß, soweit sie erkennen konnte, nur eine Person. Tizia versuchte, das Nummernschild zu lesen, aber es war zu schmutzig. Sie war neugierig, mit wem André sich treffen wollte, doch solche Wagen fuhren in Massen herum. Hedwig Seesen hatte so einen Golf gefahren, einige Mitschüler besaßen einen, und sogar in der Tierarzt-Praxis ihres Vaters gab es einen als Run-around für die Angestellten.
André beugte sich zu dem Fenster auf der Fahrerseite herunter. Er sprach mit dem Fahrer. Und dann … ging er vorn um den Wagen herum und stieg auf der Beifahrerseite ein.
Was sollte das? Wüste, eifersüchtige Vorstellungen, was irgendeine Schlampe wie diese Rothaarige auf dem Foto im Internet mit ihrem Freund anstellte, kämpften bei Tizia gegen die beklemmende Angst, es womöglich mit Bullen in Zivil zu tun zu haben. Die Peinlichkeit, wenn ihre Eltern erfuhren, wo sie aufgegriffen worden war, wäre sogar ihr unerträglich. Und dann lebenslang Vorwürfe und Hausarrest bis zum Abitur. Vielleicht sollte sie einfach unauffällig von hier verschwinden, solange sie es noch konnte?
Tizia öffnete die Tür, huschte aus dem Wagen und verbarg sich im Schatten eines Busches. Der Lichtkegel der Parkplatzbeleuchtung reichte nicht bis hierher. Von dem anderen Auto aus konnte man sie nicht sehen. Doch was nun?
Sollte sie sich an den Golf heranschleichen, um zu sehen, was da drinnen vor sich ging? Oder lieber gleich abhauen? Doch wohin? Sie
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