Düsterbruch - Almstädt, E: Düsterbruch
schlug die Akte auf: »André Falke. Im Auto verbrannt. Armes Schwein! Er war gerade erst aus dem Knast raus. Da fragt man sich, wer ihm da sofort Feuer unter dem Hintern gemacht hat.«
»Weswegen genau ist er verurteilt worden?«, fragte Gerlach.
»Die übliche Laufbahn: Drogenbesitz, Körperverletzung, Drogenhandel mit Amphetaminen, Marihuana und Ecstasy. Er war zuletzt ein Dealer der mittleren Hierarchie-Ebene, könnte man sagen. Ach ja, und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung.«
»Wie lange hat er gesessen?«
»Ein knappes Jahr. Wenn er die Hintermänner verraten hätte, wäre es vielleicht sogar auf eine Bewährungsstrafe hinausgelaufen. Aber er wollte seine Karriere wohl nicht endgültig aufgeben. Oder er hatte sein Leben zu lieb.« Maiwald reichte die Akte über den Tisch. »Schaut euch die in Ruhe an. Mehr als das, was da drin steht, weiß ich auch nicht.«
Gerlach blätterte interessiert. »Spitzname: Falke. Nicht sehr fantasievoll. Eigentlich ein gut aussehendes Kerlchen.« Er zeigte Pia ein Foto.
»Na ja. Was ist mit Falkes Umgang hier in Kiel? Fällt dir jemand ein, mit dem wir uns unterhalten sollten?«
Maiwald presste die Fingerkuppen aufeinander und sah von einem zum anderen. »Mein Kollege Thomas Ellert hat mir gesagt, sein Stammlokal soll das Paradiso gewesen sein. Da könnt ihr euch ja abends mal umhören. Aber wenn möglich, zieh dir vorher was an, das schmutzig werden darf, Gerlach.«
Als sie sich verabschiedeten, trat Maiwald ein Stück näher an Pia heran. »Ich hatte nicht erwartet, dass du hier aufkreuzen würdest.«
Sie hielt seinem forschenden Blick stand. »Es hat sich so ergeben. Und ich wollte hier nicht im Gebäude herumlaufen, ohne dich zu sehen, Maiwald.«
»Dass du Mut hast, wusste ich ja.«
Carola von Alsen ging den Weg am Wald entlang in Richtung Dorfplatz. Als sie aus dem Schatten der Bäume heraustrat, atmete sie auf. Am Nachmittag hatte sich der Himmel aufgeklart, doch die Sonne stand schon tief am Himmel. Im Dorfteich spiegelte sich der blaue Frühnovemberhimmel, und das Gras drum herum sah noch so frisch und grün aus wie in einer Margarine-Werbung. Fehlte nur noch eine glückliche Familie an einem langen Tisch mit rot karierter Decke beim Sonntagsfrühstück, dachte Carola zynisch. Doch mit der glücklichen Familie konnte nicht mal ein Bilderbuchdorf wie Düsterbruch aufwarten. Ihr Bruder würde vielleicht mal eine große Familie haben. Die Hochzeit mit Oxana war zwar verschoben worden, aber spätestens wenn das Trauerjahr um ihre Mutter vorbei war, würden die beiden heiraten.
Carola sah nach links die Straße hinunter, in Richtung Kirche. Der mit Schindeln bedeckte Turm stach spitz zwischen den fast entlaubten Kronen der Kastanien hervor, die den Kirchhof säumten. Dann fiel ihr Blick auf Monas Kate. Sollte sie nicht anklopfen und fragen, ob sie etwas tun könne? In diesem Punkt hatte Veronika recht: Sich darauf zu verlassen, dass der Pastor sich um so etwas kümmerte, war bequem, wenn nicht gar feige. Also bog sie ab und ging auf die Kate zu.
In den säuberlich geharkten Beeten im Vorgarten spross erstes Unkraut, und die Astern in einem Topf neben der Eingangstür ließen ein wenig schlapp die gelben Köpfe hängen. Carola klopfte. Als sich nichts rührte, ging sie über den vermoosten Rasen am Haus entlang. Sie schaute durch eines der Fenster. In Monas Kate war es immer dunkel, was an den kleinen Fensteröffnungen, den niedrigen Decken und dunklen Balken lag. Und ein bisschen unordentlich sah es heute auch aus. Eine Schublade stand offen.
»Mona ist nicht da!«, hörte sie eine Stimme hinter sich und fuhr herum. Ralph Krispin stand am Zaun.
Carola fragte sich, wie ein so großer Mann sich so geräuschlos fortbewegen konnte. Schwebte er? »Oh, hallo, Herr Krispin! Ich wollte nur schauen, wie es Mona geht.« Sie wandte sich dem Pastor zu. »In der Zeitung stand heute ein Artikel über … den Unfall. Es war wohl wirklich Monas Sohn, der ums Leben gekommen ist. Verbrannt in seinem Auto. Schrecklich. Ich kann es immer noch nicht glauben.«
Krispin nickte. »Die Polizei war gestern hier, um Frau Falke zu befragen. Gleich danach wollte sie für ein paar Tage zu ihrer Schwester fahren.«
Carola hatte nicht gewusst, dass Mona eine Schwester hatte. Sie schämte sich über die Erleichterung, die sie empfand: Nun würde jemand anderes die Frau trösten.
»Mona hat mich gebeten, während ihrer Abwesenheit ihre Katze und die Hühner zu füttern.« Der
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