Düsterbruch - Almstädt, E: Düsterbruch
Alkohol, Drogen … Wer in der Hierarchie weit oben stand, konnte auch innerhalb der Mauern recht gut leben. Wer sich nicht arrangiert hat oder denen in die Quere gekommen ist …« Lessing zuckte mit den Schultern. »›Diebe im Gesetz‹ konnten über Leben und Tod ihrer Mithäftlinge entscheiden.« Er beschleunigte den Wagen, um einen Fahrschulwagen zu überholen, der vor einer grünen Ampel verharrte. Lessing sah sie kurz an und referierte in nüchternem Tonfall weiter: »In den Arbeitslagern gab es überall Denunzianten, die auf die Häftlinge angesetzt wurden. Sie hatten die Aufgabe, ihre Mitgefangenen auszuhorchen. ›Aufschrauben‹ nannte man das. Da hat übrigens auch der KGB kräftig mitgemischt. Bei Fjodor Markow ist es angeblich nie gelungen, ihn zum Reden zu bringen. Denk also nicht, eine unserer Vernehmungstaktiken könne ihn irgendwie beeindrucken.«
»Wird das heute denn eine Vernehmung oder mehr ein Höflichkeitsbesuch?«
»Markow kooperiert bis zu einem gewissen Grad mit uns. Jedenfalls solange es ihm ebenfalls nützlich ist. Ab und zu kommt etwas dabei herum. Meistens aber nicht.«
»Ist Fjodor Markow ein ›Dieb im Gesetz‹?« Pia wusste, dass diese Leute ihre Funktion auch in Freiheit ausübten.
»Wir, das heißt die Landeskriminalämter und das BKA , kennen in den großen deutschen Städten jeweils mindestens zehn bis zwanzig ›Diebe im Gesetz‹, die die Pfründe unter sich aufgeteilt haben. Und Markow hält zu einigen von ihnen regelmäßigen Kontakt. Aber um deine Frage zu beantworten: Er selbst ist kein ›Dieb im Gesetz‹. Er hat jedoch die entsprechenden Kontakte und nutzt sie auch.«
»Wann ist Markow aus der Haft entlassen worden?«
»Die Perestroika bescherte ihm eine Amnestie. Er kam 1989 auf freien Fuß, und er machte genau da weiter, wo er im Lager aufgehört hatte. Er organisiert, handelt und beschafft Dinge. Die Goldgräberstimmung in den ehemaligen Sowjetrepubliken ist ihm dabei zu Hilfe gekommen. Nachdem Markow ein paar Jahre lang als Geschäftsführer für eine expandierende russische Firma gearbeitet hatte, die europäischen Firmen half, Geschäftsfelder in den Gebieten der ehemaligen Sowjetunion zu erschließen, kannte er sich auf dem internationalen Parkett gut aus. Er gründete seine erste eigene Firma. Inzwischen gehören Markow eine Werbeagentur, eine Investment-Consulting-Firma, eine Versicherungsgesellschaft und ein Radiosender. Außerdem ist er am Gas-Geschäft beteiligt. Aus zahlreichen Beispielen wissen wir, dass die Kontrolle über die Medien die beste Voraussetzung dafür ist, in der Politik Karriere zu machen.«
»Das klingt aber alles nicht unbedingt illegal.«
»Nein, und da liegt das Problem. Die ehemalige Nomenklatura der Sowjetunion hat die wichtigen Wirtschaftszweige privatisiert und übernommen. Die Gewinne aus dem Verkauf von Rohstoffen, die eigentlich der Bevölkerung zugutekommen sollten, fließen zum großen Teil in private Taschen. Legale und illegale wirtschaftliche Aktivitäten gehen Hand in Hand. Die Infiltration fast aller Wirtschaftsbereiche erfolgt schleichend und grenzüberschreitend. Das macht es so schwer für uns.«
»Und Vadim Droski?«
»Er ist die rechte Hand eines ›Diebes im Gesetz‹. Als junger Mann war er als Soldat in Afghanistan sowie auch im Tschetschenien-Krieg und hat dort eine umfassende Ausbildung erhalten, wie man Menschen tötet. Wir können ihm mehrere Mordanschläge nachweisen – in der Hoffnung, dann mehr über die Auftraggeber zu erfahren. Droski zu bekommen, das wäre ein echter Durchbruch …« Lessing bog vom Jakobikirchhof in die Bugenhagenstraße ein, eine Parallelstraße zu einer der großen Einkaufsstraßen Hamburgs. Am Fahrbahnrand vor dem Eingang des Park Hyatt Hotels stand eine übersichtliche Anzahl europäischer Luxusschlitten herum. Lessing deutete mit dem Kopf auf eine gepanzerte Mercedes-Limousine mit österreichischem Kennzeichen. Ein schwarzer Van, ebenfalls in Österreich zugelassen, stand dahinter. »Markow ist schon da. Er wird gerade erst angekommen sein, wenn die Autos noch draußen stehen.«
Lessing meldete sich an der Rezeption, telefonierte mit Fjodor Markow, und kurz darauf brachte ein Fahrstuhl Pia und ihn hoch zu Markows Suite im achten Stockwerk. Ein junger Mann in schwarzem Trainingsanzug öffnete die Tür. Sein Gesicht sah sauber und frisch aus, wie aus einer Milch-Reklame. Der Bodyguard, dachte Pia, wie hübsch! War Markow der Meinung, dass das hier im Park Hyatt nötig war?
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