Düsteres Verlangen: Die wahre Geschichte des Victor Frankenstein (German Edition)
Hoffnung«, meinte er ruhig, »dass die Franzosen eine friedliche Republik wie die unsere errichten werden, die davon ausgeht, dass alle Menschen gleich sind.«
»Und die Frauen ebenfalls«, sagte Mutter und fügte dann streng hinzu: »Gleich den Männern, meine ich.«
»Ach«, sagte Vater gutmütig schmunzelnd. »Auch das wird mit der Zeit kommen, mein Liebling.«
»Es würde schneller kommen«, antwortete Mutter, »wenn die Erziehung der Mädchen nicht darauf ausgerichtet wäre, sie in demütige, schwachsinnige Wesen zu verwandeln, die ihre wahren Möglichkeiten verschleudern.«
»Nicht in diesem Haus«, sagte Elizabeth.
Vater lächelte ihr zu. »Ich danke dir, meine Liebe.«
Mutter ging hin und küsste ihn liebevoll auf den grau werdenden Kopf. »Nein, dieses Haus ist wirklich die Ausnahme von der Regel.«
Vater war einer der vier Richter unserer Republik. Seine Fachkenntnis betraf das Gesetz, doch es gab nichts unter der Sonne, das nicht sein Interesse gewann. Seine Hochachtung vor dem Lernen war in der Tat so groß, dass er viele seiner öffentlichen Ämter und Geschäftstätigkeiten niedergelegt hatte, damit er sich ganz unserer Erziehung widmen konnte. Das Schloss war sein Schulhaus und seine eigenen Kinder waren die Schüler – was Elizabeth mit einschloss.
Jeden Tag nahm Elizabeth in der Bibliothek ihren Platz zwischen Konrad und mir ein, um von Vater und Mutter und Hauslehrern, sofern sie für gut genug befunden wurden, in Griechisch, Latein, Literatur, Naturwissenschaften und Politik unterrichtet zu werden.
Und es gab noch einen Schüler in unserem ungewöhnlichen Klassenzimmer: Henry Clerval.
Henry war außerordentlich klug, und mein Vater hatte Henrys Vater dazu überreden können, unseren Freund bei uns zu Hause unterrichten zu lassen. Er war das einzige Kind und seine Mutter war schon vor Jahren gestorben. Henrys Vater, ein Kaufmann, war oft für Wochen und sogar Monate in Geschäften unterwegs. In dieser Zeit verbrachte Henry viele Tage – und auch Nächte – bei uns und wir sahen ihn praktisch als Familienmitglied an.
Ich wünschte mir nur, er wäre gerade jetzt da und würde mir beim Kartoffelschälen helfen.
Keine andere Familie, die ich kannte, tat das. Ich bewunderte die anspruchsvollen Ideale meiner Eltern – doch war dieses skurrile Ritual am Sonntagabend wirklich notwendig? Manchmal fragte ich mich, ob sich unsere Dienerschaft so richtig wohl dabei fühlte. Ein paar von ihnen, besonders den Älteren, schien es etwas unbehaglich zu sein, sie waren sogar ein bisschen brummig, wenn wir die Küche übernahmen. Und oft fingen sie an zu helfen, wenn sie sahen, wie wir herumpatzten oder etwas falsch machten.
Ich jedenfalls freute mich nicht auf die Sonntagabende. Viel lieber hätte ich mir mein Abendessen selbst gemacht und es dann oben gegessen. Doch Konrad hatte noch nie solche nichtswürdigen Gefühle gestanden und so würde ich auch meine nicht offenbaren.
Eine pummelige, seesternförmige Hand langte plötzlich nach oben auf den Küchentisch und zog eine Handvoll Kartoffelschalen herunter. Ich schaute nach unten und sah den kleinen William, wie er sie sich vergnügt in den Mund stopfte.
»William, hör auf!«, sagte Konrad und schnappte die letzten Reste weg. »Die kannst du nicht essen!«
Sofort fing William zu heulen an. »Toffel haben. Toffel!«
Ich legte mein Messer weg und kniete mich hin, um unseren kleinsten Bruder zu trösten. »Willy, du musst warten, bis sie gekocht sind. Dann sind sie leckerer. Viel, viel leckerer.«
William schniefte tapfer. »Lecker.«
»So ist’s gut.« Ich nahm ihn in die Arme. Er klammerte seine rundlichen Arme um meinen Hals. Ich war mächtig stolz auf Willy. Er hatte gerade gelernt, die ersten Schritte zu machen, und war der totale Schreckensknabe. Er war laut und oft lästig und liebte es genau wie ich, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen, und ich empfand eine besondere Zuneigung zu ihm. Und erstaunlicherweise schien er mich Konrad vorzuziehen. Ich fragte mich, wie lange das wohl anhalten würde.
»Er bekommt Zähne«, sagte Mutter quer durch die Küche. »Wahrscheinlich will er einfach was haben, worauf er kauen kann.«
Ich sah einen sauberen Holzlöffel auf dem Tisch und gab ihn William. Mit rührender Dankbarkeit nahm er ihn und schob ihn sich tief in den Mund. Ein Ausdruck größter Wonne überzog sein Gesicht.
»Na, was für ein Genuss«, sagte ich.
»Wie geht es Ihrem Fuß, junger Herr?«, fragte mich einer der neuen
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