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Düsteres Verlangen: Die wahre Geschichte des Victor Frankenstein (German Edition)

Düsteres Verlangen: Die wahre Geschichte des Victor Frankenstein (German Edition)

Titel: Düsteres Verlangen: Die wahre Geschichte des Victor Frankenstein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
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in die Bibliothek zurück. Auf dem Boden der Vase lag die Nachricht.
    Sie war nicht für mich gedacht, doch ich fischte sie heraus und schob sie in meine Hosentasche.
    Voller Schuldgefühle las ich sie nicht sofort. Aber als ich mich zum Abendessen umzog, gewannen Neugier und Eifersucht die Oberhand. Ich entfaltete das Blatt.
    Darauf stand: Magst du mich um Mitternacht in der Bibliothek treffen?
    Später lag ich dann schlaflos im Bett. Die Kirchenglocke schlug elf. Ich wusste nicht, was ich tun sollte.
    Ich lüge.
Ich weiß genau, was ich tun werde.
    Ich sah ihre dunkle Gestalt am Fenster, wie sie über den See blickte. Sie hatte keine Kerze dabei, Mond und Sterne waren von Wolken verhangen und so war es sehr dunkel im Raum.
    Durch meine Adern strömte dasselbe animalische Verlangen nach ihr, das ich im Sturmwald empfunden hatte, als wir beide Wölfe waren.
    Wir waren bloß Schatten füreinander, nicht einmal ihre Augen konnte ich sehen. Ich spürte, wie ihre warme Hand meine ergriff, und mein Herz schlug schneller.
    »Gestern Nacht habe ich geträumt«, sagte sie. »Von unserer Hochzeitsnacht.«
    Ich lachte leise wie Konrad, um meinen Schock zu verbergen. Redeten sie schon vom Heiraten? Wie lange war ich denn schon so idiotisch blind gewesen?
    »Erzähl«, flüsterte ich und strich ihr über das Haar. Ich hatte gesehen, wie Konrad das tat, also konnte ich es auch tun. Als Kind hatte ich Elizabeths Haare oft berührt, hauptsächlich, um sie daran zu ziehen. Aber jetzt war es das erste Mal, dass ich sie liebkoste. Ihre bernsteinfarbene Mähne war so weich und doch so kräftig und lockig. Sie hatte Geist und Wildheit an sich – eine perfekte Ergänzung ihrer Persönlichkeit.
    »Wie alt waren wir?«, wagte ich zu fragen und hoffte, dass meine Stimme der von Konrad ziemlich ähnlich war. Ich hätte mir keine Gedanken machen müssen. Sie wollte und erwartete Konrad, und so war er es auch, den sie vor sich hatte. Ich empfand mich kaum als mich selbst. In der Dunkelheit konnte ich sein, wer immer ich sein wollte.
    »Nicht so sehr viel älter als jetzt«, flüsterte Elizabeth kaum hörbar. »Vielleicht zwanzig.«
    In der Dunkelheit wurde ich rot bei dem Gedanken an unsere Hochzeitsnacht und das Vergnügen, das sie bereiten würde. Doch dann schlugen meine Gedanken um, denn es wäre dann ja nicht meine Hochzeit. Ich hätte mich bei der Vorstellung freuen sollen – Konrad lebendig und vollständig geheilt. Doch der Gedanke, dass er und nicht ich Elizabeth heiraten würde, war schrecklich für mich. Und ihre nächsten Worte vergrößerten das Elend nur.
    »Ich habe noch nie eine so große Freude empfunden wie in diesem Traum«, erzählte sie. »Alles war so hell. Das Innere der Kapelle. Das Licht, das durch die bunten Fenster strömte. Mein Kleid. Ich könnte jede Einzelheit beschreiben, aber keine Sorge. Ich weiß, das würde dich unendlich langweilen. Victor war dein Trauzeuge, Mutter und Vater waren da und Henry, Ernest und der kleine William. Ich hab alles so deutlich gesehen wie auf einem Gemälde und alles so empfunden, als würde ich es echt erleben. – Aber da war noch etwas.« Jetzt klang sie beunruhigt.
    Ich spürte, wie ihre andere Hand meine berührte, und sie war eiskalt.
    »Als wir am Altar standen, kurz bevor wir für immer vereint werden sollten, wurde meine Freude von einem schrecklichen Gefühl von Grauen vergiftet. Ich hörte eine Stimme …« Ihre Stimme verebbte.
    »Ist schon gut«, murmelte ich. »Wenn es dich aufregt, sprich nicht darüber.«
    »Es war eine extrem bösartige Stimme, die ich noch nie gehört hatte, und sie sagte: In deiner Hochzeitsnacht bin ich bei dir .«
    Bei diesen Worten durchfuhr mich ein Schauder, so bedrohlich klangen sie.
    Sie lehnte ihren Kopf gegen meine Brust. »Du bist jetzt so gesund. Ich kann einfach nicht glauben, dass es jemals anders sein wird. Du musst leben. Es würde mich umbringen, wenn …«
    »Pst! Denk nicht daran. Aber«, fügte ich verwegen hinzu, »an deine Hochzeitsnacht kannst du gerne denken.«
    »Konrad!«, flüsterte sie.
    Ich wusste, dass es riskant war, doch ich konnte ihr nicht länger widerstehen. Ich umfasste ihr Kinn und hob ihr Gesicht meinem entgegen und in der Dunkelheit trafen sich unsere Lippen. Licht blitzte hinter meinen Augen auf. Ich zitterte vor Leidenschaft und war umso mehr von der Inbrunst überrascht, mit der ihre Lippen meinen begegneten.
    Sie hatte das schon vorher getan.
    Sie und Konrad hatten das schon vorher getan.
    Auch wenn ich

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