Düsteres Verlangen: Die wahre Geschichte des Victor Frankenstein (German Edition)
die Leidenschaft stahl, die einem anderen gehörte, ich wollte mehr davon – doch dann überwältigte mich die Eifersucht und Elizabeth zuckte erschrocken zurück.
»Was ist?«, fragte ich flüsternd, doch ich wusste, was ich getan hatte.
»Du hast mich gebissen!«, sagte sie.
»Ich war … die Leidenschaft war einfach zu groß. Elizabeth, es tut mit so leid. Blutet es?«
Ich wusste die Antwort auch so, denn ich hatte den leichten Eisengeschmack von Blut im Mund. Und so verrückt es auch war, ich freute mich über den wunderbaren Geschmack. Ich hatte ihr Blut in mir. Das Blut des Mädchens, das ich liebte.
»Hier, nimm mein Taschentuch«, sagte ich mit heiserer Stimme.
Fragend berührten ihre Finger mein Gesicht und ich trat einen Schritt zurück.
»Konrad?«, sagte sie zögernd, als wäre sie sich nicht völlig sicher.
»Wer denn sonst?«, sagte ich und versuchte, ein bisschen verletzt zu klingen. »Aber wir sollten uns jetzt trennen. Ich fühle mich noch immer ein bisschen erschöpft.«
»Ja, natürlich, ruh dich aus. Ich warte hier noch ein wenig, damit uns keiner von der Dienerschaft zusammen sieht.«
Ein letzter Händedruck und ich verließ rasch die Bibliothek und ging schnell durch den schwach beleuchteten Korridor zu meinem Zimmer.
Beim Frühstück saß ich Konrad gegenüber und hatte gerade angefangen zu essen, als Elizabeth in den Raum gerauscht kam.
»Das musst du verloren haben, Victor«, sagte sie beiläufig und warf mir im Vorbeigehen ein Taschentuch in den Schoß. Darauf war ein Fleck von ihrem Blut.
Und daneben mein Monogramm: V.F.
Was war ich doch für ein Dummkopf gewesen.
Sie wusste es.
Während des ganzen Frühstücks vermied sie meinen Blick.
Doch ich bereute auch nicht für eine Sekunde, ihr diesen Kuss gestohlen zu haben.
9. Kapitel
Der Diebstahl
Nach dem Mittagessen brachen Henry und ich zu Pferd nach Cologny auf, dem kleinen Dorf in der Nähe von Genf, wo die Witwe des Kartografen wohnte.
Ich war sehr erleichtert, vom Schloss wegzukommen – und von Elizabeth und Konrad. Ich glaubte nicht, dass sie Konrad von meinem Betrug in der Nacht erzählt hatte. Auf jeden Fall hatte er sich den ganzen Vormittag mir gegenüber völlig normal benommen – es sei denn, er war ein besserer Schauspieler, als ich gedacht hatte. Hätte er dasselbe mir angetan, hätte ich vor Wut gekocht.
Der Tag war sonnig, aber kühl, und es war sehr angenehm, neben Henry die Straße entlangzureiten. Rechts von uns glitzerte der See, auf dem viele Segelboote unterwegs waren, die Güter und Passagiere von oder nach Genf transportierten.
»Wie kommst du eigentlich auf deine Gedichte?«, fragte ich Henry.
Er schaute zu mir herüber. »Du hast dich doch noch nie für meine Schreiberei interessiert.«
»Jetzt bin ich eben neugierig. Also, wie kommst du darauf?«
Mit gerunzelter Stirn blickte er in die Ferne. »Oft sind es Kleinigkeiten. Ein Blick. Ein Gefühl. Eine Sehnsucht. Das kämpft dann darum, beschrieben zu werden, erfasst zu werden.«
An Gefühlen hatte ich keinen Mangel und normalerweise auch kein Problem damit, sie auszudrücken – nicht bei denen, die mir am nächsten standen. Aber wie kam es dann, dass ich meine Gefühle Elizabeth gegenüber so lange nicht bemerkt hatte? Vielleicht, weil sie als meine Schwester aufgewachsen war und ich jeden romantischen Gedanken, der sich in mir regte, im Keim erstickt hatte? Aber sie war nicht meine Schwester. Sie war nicht einmal eine direkte Cousine, sondern nur entfernt verwandt. Also warum hatte ich meinen Gefühlen ihr gegenüber nicht erlaubt, sich zu entwickeln? Konrad hatte diese Probleme nicht gehabt.
Ich wandte mich wieder Henry zu. »Und du kannst über alles schreiben?«
»Alles, was mir etwas bedeutet.«
»Liebe?«
Er lachte. »Liebe!«
Ich zuckte mit den Schultern. »Nur so als Beispiel. Ja, Worte und Sätze, die die Liebe beschreiben. Die, hm, eine junge Dame beeindrucken würden.«
Henry seufzte. »Ach du meine Güte. Du liebst sie doch nicht etwa auch?«
»Ich weiß nicht, wen du meinst!«
»Du bist ein lausiger Lügner, Victor. Fräulein Elizabeth Lavenza vielleicht?«
»Sie? Lieber Himmel, nein. Sie ist ein prima Mädchen, aber …« Ich blies kräftig die Luft aus. »Ihre spitze Zunge. Die würde doch einen Mann in weniger als zehn Minuten fertigmachen. Ich würde lieber das Bellen von einem Hund hören als ihre Stimme.«
»Ach, wirklich«, meinte Henry und klang in keiner Weise überzeugt.
»Was hast du gemeint, als du
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