Düsteres Verlangen: Die wahre Geschichte des Victor Frankenstein (German Edition)
schon von ihm gehört?«
Das hatte ich tatsächlich und mein Herz zog sich schmerzlich zusammen.
»Dann hat unsere Suche ein Ende«, murmelte ich. »Wir sind erledigt.«
»Warum?«, fragte Elizabeth und drehte sich ängstlich zu mir um. »Warum sagst du das, Victor?«
Ich lachte unfroh. »Ach, das ist wohl eine Lektion, die du verpasst hast.«
»Dieses Wesen ist ausgestorben«, erklärte Henry, denn er hatte auch an Vaters Unterricht teilgenommen und die Abbildung von einem versteinerten Exemplar gesehen. Vor Millionen von Jahren war es mit den schrecklichen Echsen herumgeschwommen, doch lebend ist es seit Jahrhunderten nicht mehr gesehen worden.
»Bestimmt muss doch irgendwo …«, fing Elizabeth hoffnungsvoll an.
»Und wenn man die ganze Welt absucht«, sagte ich, »es ist keins davon zu finden.«
Hoch oben im Sturmwald hatten wir unser Leben aufs Spiel gesetzt, um die Mondflechte zu ergattern. Und nun wurden unsere Hoffnungen so einfach zerschlagen.
»Sie geben die Hoffnung zu schnell auf, junger Herr«, sagte Polidori.
»Wieso?«, fragte ich. »Gibt es denn einen Ersatzbestandteil?«
»Gibt es nicht«, sagte der Alchemist. »Aber der Quastenflosser ist eben nicht ausgestorben. Es handelt sich um ein Lazarus Taxon.«
Damit konnte ich gar nichts anfangen und ich blickte Henry und Elizabeth verwirrt an. Zu meiner Überraschung lächelte Elizabeth.
»Victor«, sagte sie, »deine Bibelkenntnisse sind wirklich sehr armselig. Lazarus war der Mann, den Jesus von den Toten auferweckt hat.«
»Ja«, meinte Polidori. »Mit Lazarus Taxon bezeichnen Wissenschaftler Arten, von denen man einmal glaubte, sie seien ausgestorben. Aber dann, siehe da, wurde ein Exemplar in Ostindien oder vor der Küste Afrikas gefunden.«
»Müssen wir so weit reisen?«, fragte ich entmutigt, überlegte jedoch bereits, wie eine solche Reise unternommen werden könnte.
»Der Genfer See reicht schon«, sagte Polidori.
»Ist das Ihr Ernst?«, fragte ich.
»Aber sicher«, beteuerte er. »Ich kenne einen Fischer, der einen Quastenflosser gesehen hat.«
»Glauben Sie diesem Kerl?«, fragte Henry.
Polidori nickte. »Und ich will Ihnen auch zeigen, warum.« Schnell rollte er seinen Stuhl zu einem großen Schrank und nahm einen langen Glasbehälter heraus, in dem sich ein erstaunlich blauer Fisch befand, rund sechzig Zentimeter lang und mit sehr vielen Flossen.
Mein Herz machte einen Sprung, und ich hörte, wie Henry die Luft durch die Zähne einzog, denn es war genau der Fisch, den Vater uns auf dem Kupferstich gezeigt hatte.
»Warum haben Sie uns nicht gesagt, dass Sie bereits einen haben?«, rief ich.
»Weil er uns nichts nutzt«, antwortete mir Polidori so scharf, dass ich mich zurechtgewiesen fühlte. »Er ist schon zwei Jahre tot und völlig vertrocknet.« Er tippte auf das Blatt in seinem Schoß. »Was von diesem Fisch benötigt wird, ist das widerliche Öl, das er ausscheidet, wenn er lebendig ist. Es macht den Fisch ungenießbar. Doch die Öle aus dem Kopf des Fisches enthalten nahrhafte und wundersame Substanzen, die wir für das Elixier brauchen.«
»Sie leben in unserem See!«, rief Elizabeth, schaute mich glücklich an und ergriff meine Hände.
»Ich habe gehört, dass sie bis zu zwei Meter lang werden können«, sagte Polidori. »Kraftvolle Geschöpfe. Meiner hier ist klein, ein Baby noch. Und wo es Babys gibt, da gibt es auch Erwachsene, die sie machen.«
»Worauf warten wir noch?«, fragte Elizabeth. »Wir mieten sofort ein Boot und durchfischen den See mit dem Netz!«
»So einfach wird es nicht sein«, wandte Polidori mit ernster Stimme ein. »Als ich mit dem Fischer sprach, sagte er, in fünfzig Jahren sei dieses Exemplar das einzige gewesen, das hier gesichtet wurde. Normalerweise kann man sie nicht mit dem Netz fangen. Sie leben in der Tiefe, brauchen die Kälte und die Dunkelheit. Sie könnten monatelang oder jahrelang fischen, ohne einen zu fangen.«
»Dann gehen wir tiefer«, verkündete Elizabeth mit eiserner Entschlossenheit. »Wo auch immer dieser Fisch lebt, wir werden ihn finden.«
»Können wir nicht einfach Krake schicken, damit er uns einen holt?«, frage Henry mit einem lahmen Lachen.
»Es gibt Taucherglocken, mit denen man sehr tief tauchen kann«, überlegte ich laut.
»Das wird wohl nicht nötig sein«, bemerkte Polidori.
Wir alle blickten ihn erwartungsvoll an.
»Dieser Fisch fürchtet das Tageslicht so sehr, dass selbst der Grund des Sees für ihn nicht dunkel genug ist. Ich habe gehört,
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