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Düstermühle: Ein Münsterland-Krimi (German Edition)

Düstermühle: Ein Münsterland-Krimi (German Edition)

Titel: Düstermühle: Ein Münsterland-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Holtkötter
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kaum mehr verlassen.«
    »Wo war er in diesem halben Jahr?«
    »Im KZ. Mehr weiß ich nicht. Keiner, der dort gewesen war, redete später darüber. Keiner. Auch Wüllenhues nicht.«
    »Und wie alt war Siegfried damals?«
    »Er war gerade auf der Welt. Vielleicht ein halbes Jahr alt, höchstens anderthalb. So genau weiß ich das nicht mehr. Sein Vater ist dann zwar bis zum Kriegsende auf seinem Hof geblieben. Selbst für den Volkssturm war er nicht mehr zu gebrauchen, da war er bereits schwer krank. Trotzdem hatte die Geschichte enorme Auswirkungen für Siegfried. Er war das jüngste von sieben Kindern, die alle durchgebracht werden mussten. Der Hof hat wenig abgeworfen, und der alte Wüllenhues war nach dieser Geschichte eher eine Belastung als eine Hilfe. Seine Frau hatte eine kinderlose Schwester, die in Hamburg mit einem Beamten verheiratet war. Die beiden hatten genug Geld, also sorgte sie dafür, dass Siegfried von ihnen aufgenommen wurde. Ein Kind weniger, das durchgefüttert werden musste.«
    »Er ist also in Hamburg aufgewachsen?«
    »Zumindest einen Teil der Kindheit hat er dort verlebt. Er war drei Jahre alt, als er hingebracht wurde. Aber es war wohl nicht gerade ein liebevolles Elternhaus. Und dann kam der Krieg. Nun ja. Um es kurz zu machen: Sie haben Hamburg nicht rechtzeitig verlassen.«
    »Sie meinen, bevor die Stadt bombardiert wurde?«
    »Richtig. Die Kinder sollten aufs Land gebracht werden, aber man glaubte offenbar, es bliebe noch genügend Zeit.«
    Keller knetete nervös seine halbvolle Marlboroschachtel, was ihm erst bewusst wurde, als Carl Beeke ihn aufforderte, sich eine anzuzünden.
    »Drüben in der Vitrine finden Sie einen Aschenbecher. Es geht schneller, wenn Sie ihn sich selbst holen.«
    Keller schnupperte. Der Raum roch nicht, als ob hier geraucht würde. »Ist Ihnen das denn auch recht?«
    Carl Beeke zwinkerte ihm zu. »Vor vierzig Jahren hätte kein Mensch so etwas gefragt.«
    Keller lachte. »Also gut.«
    Er stand auf, holte den Aschenbecher und zündete sich eine an. Dann blies er den Rauch in die Luft und wandte sich wieder dem alten Mann zu.
    »Das heißt also, Siegfried war während der Bombardierungen in der Stadt?«
    Der Alte nickte. »Keiner weiß, wie lange. Sein Onkel war an der Ostfront, und er und seine Tante waren allein in Hamburg zurückgeblieben. Sie ist wohl in einer der Bombennächte umgekommen, jedenfalls erzählte man sich das, und keiner glaubte, Siegfried hätte überlebt. Aber dann ist er wieder aufgetaucht. Nach dem Krieg. In einem Kinderheim. Man konnte nur darüber spekulieren, was geschehen sein mochte. Der Junge hat nicht darüber gesprochen. Er schien sich auch gar nicht mehr erinnern zu können.« Carl Beeke lächelte betrübt. »Damals dachte man, das wäre ein gutes Zeichen. Die Kinder vergaßen die Schrecken des Krieges. Sie standen einfach auf und lebten weiter. Spielten. Waren fröhlich. Heute weiß man es natürlich besser. Die Psychologie ist da inzwischen viel weiter.«
    »Siegfried hat es also dem alten Schulte-Stein zu verdanken, dass sein Vater gebrochen aus dem KZ zurückkehrte und er nach Hamburg geschickt wurde, mitten in den Bombenkrieg hinein. Aber warum jetzt, nach so langer Zeit? Und warum Alfons und nicht Schulte-Stein senior? Hat es einen konkreten Anlass gegeben? Einen Streit oder etwas in der Art?«
    »Sie wollen den Anlass wissen?« Carl Beeke schenkte ihm ein Lächeln. »Es ist das Alter. Wenn man alt wird … Irgendwann hat man das Gefühl, man lebt nur noch für seine Erinnerungen. Dann wird klar, was wirklich wichtig war im Leben. Worauf es im Grunde ankommt.«
    »Sie meinen …«
    Der Alte nickte. »Ich glaube, dass Siegfried erkannt hat, welche Rechnung er noch begleichen musste. Und er hat sie beglichen. Um in Frieden sterben zu können.«
    Als er wieder im Auto saß, zog er sein Handy hervor, das er ins Handschuhfach gelegt hatte. Seine Frau hatte in der Zwischenzeit dreimal angerufen.
    Seine Exfrau, korrigierte er sich.
    Er holte Luft und drückte die Rückruftaste.
    »Verdammt, das wird aber auch Zeit, dass du dich meldest! Es ist Freitagabend, Henrik, und ich habe immer noch keine Ahnung, was dieses Wochenende ist. Selbst wenn ich für mich keine Pläne hätte, musst du aber doch an die Kinder denken! Sie müssen wissen, was los ist. Sie brauchen Sicherheit.«
    »Entschuldige bitte. Wir haben ein Tötungsdelikt reinbekommen. Ich habe dir das heute Morgen auf den Anrufbeantworter gesprochen. Hast du ihn

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