Düstermühle: Ein Münsterland-Krimi (German Edition)
abgehört?«
»Natürlich hab ich ihn abgehört. Aber was heißt das jetzt für uns? Dass du am Wochenende ausfällst? Dann sag das doch bitte, damit wir Klarheit haben!«
Er sah zum Haus von Carl Beeke. Der Fall war eindeutig. Siegfried Wüllenhues hatte die Werkstatt angezündet und war an Herzversagen gestorben.
Für den Samstag wollte er sich besser nicht festlegen, da konnte man nie wissen. Aber danach …
»Morgen wird wohl nichts draus. Aber am Sonntag nehme ich die beiden gerne. Ich habe mir schon überlegt, mit ihnen in den Zoo zu gehen. Da waren wir schon lange nicht mehr.«
Aber das schien sie nicht zu interessieren. »Also Sonntag. Kann ich mich auch darauf verlassen?«
Keller zögerte.
»Henrik! Kann ich mich darauf verlassen?«
»Ja, doch. Ich hole sie Samstagabend ab und bring sie Sonntagabend zurück. Ist das in Ordnung?«
»Wollen wir es hoffen«, murmelte sie und legte ohne ein weiteres Wort auf.
Keller pfefferte das Handy auf den Beifahrersitz. Dann zündete er sich eine weitere Zigarette an. Hoffentlich hatte er tatsächlich frei am Sonntag. Aber was sollte schon passieren? Schließlich war der Fall eindeutig, und es ging nur noch darum, die Fakten zusammenzutragen.
4
Hambrock legte seine ausgekühlten Hände auf den Heizkörper. Er hatte sich den Sommer über angewöhnt, mit dem Fahrrad ins Büro zu fahren, wie das halbe Präsidium es machte, schließlich war Münster eine Fahrradstadt. Das bisschen Bewegung tat ihm erstaunlich gut, er fühlte sich morgens um einiges frischer, und daher hatte er sich fest vorgenommen, sich auch vom Winter nicht kleinkriegen zu lassen. Mal sehen, wie lange er das noch durchhielt. Heute zog er seine Entscheidung zum ersten Mal ernsthaft in Zweifel.
Von seinem Bürofenster aus blickte er auf ein Wohnviertel mit hübschen Häusern und kleinen Gärten. Oft stand er einfach da, dachte nach und blickte hinunter. Doch heute war alles im dichten Nebel abgetaucht. Eine zähe graue Masse, die kaum Licht durchließ. Nirgends eine Bewegung. Im Radio hatte es zwar geheißen, nach Auflösung von Nebelfeldern solle noch die Sonne durchkommen, aber jetzt sah es nicht mehr so aus, als würde sich diese trübe Masse noch lichten.
Im Garten des Nachbargrundstücks war schemenhaft ein Apfelbäumchen zu erkennen. Die kargen Äste ragten in den Nebel. Ein Rabe hockte da und schien Hambrock zu beobachten. Plötzlich breitete er seine Flügel aus und flatterte krächzend davon.
Ein Klopfen an der offenen Tür. »Hambrock?«
»Morgen, Henrik. Komm rein.«
Keller nickte. Er schien zu überlegen, ob er die Tür hinter sich schließen sollte, doch dann entschied er sich dagegen. Sein Auftauchen musste einen Grund haben, denn in ein paar Minuten hätten sie sich ohnehin bei der morgendlichen Besprechung getroffen.
»Was gibt’s denn?«, fragte Hambrock.
»Ich wollte nur kurz hören, ob du schon was von der Obduktion weißt.«
»Kann das nicht warten?«
»Doch, natürlich. Ich dachte nur, wo ich gerade hier vorbeikam …«
»Es gab noch keine Obduktion. Wir müssen uns übers Wochenende gedulden, Montagmorgen wissen wir mehr.«
Hambrock hatte am Vorabend mit Dr. Brüggen gesprochen, der Rechtsmedizinerin. Sie war gerade auf dem Weg zu einer Tagung gewesen. Am Montag würde sie die Leichen obduzieren, gleich als Erstes wollte sie sich daranmachen. Wie immer war ihre Stimme ruhig und freundlich gewesen, daran hatte auch die lärmende Hektik auf dem Bahnhof nichts ändern können.
Dr. Hannah Brüggen. Eine seltsame Frau. Sie arbeitete erst seit ein paar Monaten in Münster. Frisch von der Uni, eine Einserkandidatin. Mit ihrem wunderschönen Gesicht und der perfekten Figur hätte sie auch als Model durchgehen können. Eine richtige Klassefrau. Natürlich war das sexistisch, aber trotzdem fragte sich Hambrock: Was machte so eine Frau in einem solchen Beruf? Er konnte sich keinen Reim darauf machen. Ihm reichte es schon, dass er bei Tötungsdelikten einen kurzen ersten Blick auf die Leichen werfen musste. Und diese hübsche zierliche Frau hockte den ganzen Tag allein in ihrem Keller in der Rechtsmedizin, schnitt Schädel und Brustkörbe auf und murmelte etwas in ihr Diktiergerät. Immer nur Leichen, Leichen, von morgens bis abends. Wasserleichen, Tierfraß, Austrocknung. Und dann ging sie nach draußen, warf ihr blondes Haar in den Nacken, lächelte allen ein perlweißes Lächeln zu und ging beschwingt nach Hause.
»Das heißt also«, meinte Keller, »wir wissen noch
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