Düstermühle: Ein Münsterland-Krimi (German Edition)
fortschreitet? Er wurde älter und spürte seine Kräfte schwinden. Lange würde er nicht mehr für sie beide da sein können.
Dann musste eben ihr Sohn ran, der Manfred. Nach allem, was nun geschehen war, wäre dies wieder eine denkbare Option.
»Drüben bei Alfons hat es gebrannt«, stellte sie fest. »Die alte Schmiede. Was hast du denn gedacht? Ich kann das von meinem Fenster aus sehen.«
»Es tut mir leid. Ich wollte dich nicht beunruhigen.«
»Ich bin nicht aus Porzellan. Was ist denn passiert? Wie ist das Feuer ausgebrochen?«
»Ich weiß es nicht. Möchtest du, dass ich rübergehe und mich erkundige?«
»Zu Alfons? Nein, nicht nötig. Er soll nicht denken, dass ich mir Sorgen mache.«
Der Kessel rutschte ihr aus der Hand und schepperte in der Spüle. Ihre Kraft hatte ganz plötzlich nachgelassen, er war wohl zu schwer gewesen. In ihrem Gesicht spiegelte sich Erschöpfung.
»Lass dir doch helfen«, sagte er und nahm ihr den Kessel ab.
Sie ließ es geschehen. Fügte sich in ihre Niederlage. Mit düsterem Gesicht rollte sie zum Küchentisch.
»Bestimmt war es sein blödes Heizöfchen«, sagte sie. »Ich hab ihm immer gesagt, er soll sich ein neues kaufen. Sonst brennt hier eines Tages noch alles nieder, hab ich gesagt. Aber bei ihm kann man ja reden, wie man will. Ich wette, es war der Heizofen.«
»Gut möglich.«
Er stellte den Kessel auf den Herd und zündete die Flamme an.
»Er hat es gar nicht verdient, dass ich mir so viele Gedanken mache.«
»Nein, das hat er nicht.«
Dann blickte er wieder zum Fenster hinaus. Das Licht schwand. Dunkelheit legte sich über das Anwesen der Schulte-Steins. Er wollte seiner Tochter nicht sagen, was passiert war. Er war nicht der Richtige, um diese Nachricht zu überbringen. Wieso hatte Manfred denn nicht angerufen? Lag ihm so wenig an seiner Mutter?
Sie hockte zusammengesunken da, wirkte völlig erschöpft. Ihr Körper schien in den letzten Monaten kleiner geworden zu sein. Aber das gehörte wohl zu der Krankheit dazu. Wenn sich doch wenigstens der Junge gemeldet hätte.
Das Wasser begann zu kochen. Gerade wollte er den Tee aufgießen, da klingelte es. Er ging zur Tür und sah durch den Glaseinsatz nach draußen. Ein dunkles Auto stand vor ihrem Haus, und zwei Männer mit ernsten Gesichtern warteten auf ihn. Die Polizei, dachte er. Das wurde aber auch Zeit.
Wenn sonst schon keiner an sie dachte und sich nicht einmal Manfred hier blicken ließ, so war doch wenigstens auf die Polizei Verlass.
»Wir haben Besuch«, sagte er.
Dann öffnete er die Tür.
Ein paar Kilometer entfernt stand Henrik Keller ebenfalls vor einer Haustür und wartete. Es dauerte endlos, bis ihm geöffnet wurde. Ein hochgewachsener Mann stand auf der Schwelle. Er war hager und vom Alter ein wenig gebeugt. Sein Gesicht war von einer großen Hakennase geprägt, und riesige Tränensäcke verliehen ihm das Aussehen eines altersmüden Terriers. Doch das Auffälligste waren seine Augen. Wasserblaue Iris, ein stechender Blick, völlig alterslos. Egal, wie sein Körper aussehen mochte, der Geist dieses Mannes war hellwach, so viel stand fest.
»Sind Sie Carl Beeke?«
Er nickte.
»Ich bin Henrik Keller von der Polizei. Ich komme wegen Siegfried Wüllenhues.«
»Ich habe schon davon gehört. Neuigkeiten sprechen sich schnell herum.«
»Sie kannten ihn persönlich, nicht wahr?«
»Ich kannte schon seinen Vater. Wir sind alle da draußen auf dem Land aufgewachsen.«
»Richtig. Ein Mann aus der Bauernschaft hat mich zu Ihnen geschickt. Walther Vornholte. Er sagte, Sie könnten mir etwas zu der Familienfehde zwischen Wüllenhues und Schulte-Stein erzählen. Darüber wüssten Sie mehr als die meisten.«
Er nickte. »Sie wollen wissen, weshalb Siegfried Alfons Schulte-Stein getötet hat«, stellte er fest.
Keller war überrascht. So eindeutig hatte das noch keiner formuliert, auch wenn der Gedanke natürlich nahelag.
»Können Sie mir das denn sagen?«
Carl Beeke trat zur Seite.
»Kommen Sie herein.«
Der Alte schlurfte mit seinem Stock durch den Hausflur. Keller schloss die Tür und folgte ihm ins Wohnzimmer. Ein großes Panoramafenster bestimmte den Raum. Es war wie eine riesige Leinwand, der Ausblick grandios. Eine trübe stille Winterlandschaft. Alles wie in HDTV.
Vor dem Fenster stand ein wuchtiger Sessel. Carl Beeke ließ sich vorsichtig hineinsinken. Das war offenbar seine Aussichtsplattform. Drum herum standen Tischchen mit Büchern, Getränken und dem Telefon. Ein wohnliches
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