Duft des Mörders
dem Geld abhauen. Dann beschloss sie, ihm zu vertrauen, und gab ihm die fünf Scheine. Mit einer Schnelligkeit, die sie nicht erwartet hätte, packte er das Geld und ließ es in einer Tasche seines Mantels verschwinden.
„Würden Sie mir dann auch bitte sagen, wo ich Estelle finde?“
Sein Blick war weiterhin auf sie gerichtet, während er sich erhob. Dann sah er sich verstohlen um und ging davon, wobei er den Einkaufswagen vor sich herschob.
„He, Augenblick mal!“ Der Mann ging einfach weiter. Jenna saß da und kam sich lächerlich vor. Zum Glück hatte sonst niemand etwas von ihrem missglückten Bemühen mitbekommen.
Der Mann mit dem Einkaufswagen sah sich immer wieder nach ihr um, so als wolle er sich davon überzeugen, dass sie ihm nicht folgte.
Seufzend erhob sich Jenna, klopfte sich die Hose ab und setzte sich wieder in Bewegung. In den nächsten gut zwanzig Minuten stieß sie auf drei weitere Obdachlose, doch niemand wusste oder wollte wissen, wo sich Estelle gerade aufhielt. Sie konnten oder wollten ihr nicht mal bestätigen, dass Estelle überhaupt hier im Park lebte. Als Jenna das Karussell endlich erreichte, fragte sie sich, ob sie Estelle jemals finden würde.
„Ich hab gehört, dass Sie mich suchen“, sagte auf einmal eine raue Stimme hinter ihr.
13. KAPITEL
J enna wirbelte herum und sah sich einer kleinen fülligen Frau mit kurz geschnittenem grauen Haar und wachsamen braunen Augen gegenüber. Augen, die sie nicht ängstlich, sondern neugierig betrachteten. Ihr langer grauer Rock reichte ihr bis zu den Knöcheln und ließ den Blick frei auf abgetragene Stiefel. Anstelle eines Mantels trug sie eine bis oben hin zugeknöpfte Strickjacke. Auch sie hatte einen Einkaufswagen bei sich; in ihrem allerdings befanden sich nur eine Decke und zwei Kartons mit diversem Krimskrams. Zwischen ihren vom Nikotin gelb verfärbten Fingern hielt sie einen Zigarettenstummel.
„Wenn Sie Estelle sind, dann suche ich Sie.“
„Ich bin Estelle.“
„Hallo, mein Name ist Jenna.“
„Was wollen Sie von mir?“
„Ich möchte mich mit Ihnen über Roy unterhalten.“
Die Frau zog an dem Zigarettenstummel und kniff die Augen ein wenig zusammen. „Sind Sie ein Bulle?“
„Nein, aber ich war eben auf dem Polizeirevier. Roy ist dort.“
Estelle schüttelte wütend den Kopf. „Diese verdammten Cops. Haben ihn im Schlaf überrascht und weggeschleppt, als wär er ein Tier.“
„Es wird behauptet, er habe einen Mann umgebracht.“
„Blödsinn! Roy hat überhaupt keinen umgebracht! Die wissen nicht, wer’s war, und jetzt hängen sie es Roy an.“
„Aber die Beschreibung, die Sie von dem Mann am Karussell gegeben haben, war …“
„Ich habe denen extra gesagt, dass Roy es
nicht
war! Es war stockfinster, bis auf eine Laterne. Ich hab sein Gesicht nie gesehen, nur den Rücken. Im Dunkeln sieht für mich jeder gleich aus.“ Sie schnaubte verächtlich. „Aber dieser dämliche Detective wollte einfach nicht zuhören.“
„Sie haben aber doch gesagt, dass der Mann ein Bein nachzog, oder nicht?“
„Nein!“ Ihr Gesicht nahm jetzt einen wütenden, trotzigen Ausdruck an, doch die Art, wie sie Jennas Blick auswich, sagte dieser, dass die Obdachlose log, um ihren Freund zu schützen.
„Die Polizei behauptet, sie habe Beweise, dass Roy der Täter sei. Können Sie mir dazu irgendetwas sagen?“
Estelle sah sie von Kopf bis Fuß an. „Schönes Stöffchen.“ Ihr Blick war an der schwarzen wollenen Matrosenjacke hängen geblieben, die Jenna erst vergangene Woche bei Barney’s gekauft hatte. „Sieht schön warm aus.“
Jenna verstand die Anspielung und zog sofort die Jacke aus. Die kalte Luft drang durch ihren dünnen Sweater und ließ sie frösteln. „Sie können sie haben“, sagte sie, hielt die Jacke aber noch fest, „wenn ich von Ihnen Informationen erhalte.“
Estelle war noch immer misstrauisch. „Wenn Sie kein Bulle sind, wer sind Sie dann?“
„Jemand, der Roy helfen könnte.“
Die abweisende Miene der Obdachlosen wurde ein wenig freundlicher. Sie betrachtete wieder die Jacke und wischte sich mit dem Handrücken die Nase. „Die Bullen haben Geld, Kreditkarten und eine Uhr gefunden, wo Roy seine Sachen hat und wo er auch schläft.“ Sie sah sich um. „Und sie haben noch was gefunden.“
„Was denn?“
„Das Messer.“
„Die Mordwaffe?“
Estelle nickte. „Roy weiß nicht, wie es da hingekommen ist.“
„Wo schläft Roy?“
Estelle deutete auf eine Baumgruppe ein Stück weiter
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