Duft des Mörders
wegen der schlechten Wirtschaftslage und einer Überalterung der örtlichen Bevölkerung viel an Attraktivität verloren, was sich erst in den Siebziger- und Achtzigerjahren änderte, als dort eine russische Gemeinde entstand. Neue Läden wie Restaurants und Feinkostgeschäfte wurden eröffnet, und Brighton Beach erlebte einen wirtschaftlichen Aufschwung, der die Arbeitslosigkeit drastisch zurückgehen ließ und für eine neue Blütezeit sorgte.
Als Junge, der in Little Italy in Manhattan groß geworden war, kannte sich Frank in Brooklyn und vor allem in Brighton Beach bestens aus. Seine Mutter war von Zeit zu Zeit dorthin gefahren, um
Pelmeni
– mit Fleisch gefüllte Klöße – und
Borschtsch
zu kaufen, das er wie die Pest gehasst hatte.
Dann, Mitte der Achtzigerjahre, als Gerüchte die Runde machten, eine mächtige Organisation mit Namen
Bratstvo
habe ihr Hauptquartier in Brighton Beach aufgeschlagen, begann sich das FBI für den Ort zu interessieren.
Jahre später, während seiner eigenen Ermittlungen, hatte sich Frank auf Aleksei Chekhov konzentriert. Der betrieb ein Restaurant, das so gut lief, dass er ein zweites Lokal und schließlich ein heruntergekommenes Hotel dazukaufen konnte. Das Hotel ließ er von Grund auf renovieren und in seinen ursprünglichen prachtvollen Zustand versetzen.
Nach außen hin war das alles völlig legal gewesen. Chekhov wandte sich nach der Auflösung des KGB dem organisierten Verbrechen zu, doch zu beweisen war ihm das nicht. So wie viele andere Russen begann auch er mit seiner Auswanderung in die USA ein neues Kapitel in seinem Leben – zumindest nach außen hin.
Frank war davon überzeugt, dass der ehrliche Geschäftsmann nichts weiter als eine Fassade war, doch er konnte nichts herausfinden, was seinen Verdacht bestätigte. Über ein Jahr lang lieferte er sich mit Chekhov ein Katz-und-Maus-Spiel, aber allen Bemühungen zum Trotz wollte die Maus nicht in die Falle gehen. Vielmehr kooperierte Chekhov und machte Frank mit den maßgeblichen Fissguren in seinem Unternehmen vertraut, darunter auch mit seinem jüngeren Bruder Sergei. Der war zwar von Chekhovs Verhalten nicht angetan, doch das hatte nichts daran geändert, dass Frank sich innerhalb des Unternehmens frei bewegen und jederzeit die Bücher einsehen und die Computer überprüfen konnte.
„Ich habe nichts zu verbergen“, sagte Chekhov in seinem tiefen, vom russischen Akzent geprägten Tonfall. „Ich liebe dieses Land, und ich werde alles dafür tun, dass es für seine Bürger auch ein sicheres Land bleibt – dafür lasse ich sogar das FBI in meine Privatsphäre eindringen.“
Franks Suche verlief ergebnislos, was ihn allerdings nicht verwunderte. Wer wäre schon so dumm, dem FBI die Geschäftsbücher vorzulegen, wenn sich darin irgendetwas Belastendes finden ließ? Der Beweis, dass Chekhov der führende Kopf von
Bratstvo
war, ließ sich mit diesen Unterlagen jedenfalls nicht erbringen.
Und jetzt stand Frank Renaldi wieder vor dem Seaside Hotel an der Brighton Beach Avenue, dachte an die alten Zeiten zurück und hoffte, dass Aleksei nichts von seinem Ausscheiden aus dem FBI wusste.
Das sechsstöckige Gebäude mit seinen kunstvoll geschnitzten Giebelfenstern und den roten Markisen war nicht nur ein Blickfang, sondern eine einträgliche Einnahmequelle, jedenfalls nach der großen Zahl von Fahrzeugen zu schließen, die auf dem Platz nebenan abgestellt waren. Im Hotel selbst ging es laut zu, was vor allem an den ungewöhnlich vielen kreischenden Kleinkindern lag, die durch die Lobby rannten. Im nächsten Moment erkannte Frank den Grund für diesen Trubel. Ein großes Schild wies den Kleinen den Weg zu einem Kindertheater, das in einer halben Stunde beginnen sollte. Auf dem Programm standen alte russische Märchen und der Auftritt eines Zauberers.
Frank ging zur Rezeption, nannte dem Empfangschef seinen Namen und sein Anliegen, und nur Augenblicke später kam Aleksei Chekhov aus seinem Büro im ersten Stock und sah hinunter ins Foyer. Während er auf der mit rotem Teppich ausgelegten Treppe nach unten schritt, lächelte er so breit, als sei er tatsächlich erfreut, Frank zu sehen.
Und auch Frank kehrte den Diplomaten hervor und erwiderte das Lächeln. Davon abgesehen, dass er wohl zehn oder fünfzehn Pfund zugenommen und ein paar graue Haare bekommen hatte, sah Chekhov noch immer so aus wie damals. Er war ein großer, breitschultriger Mann und strahlte ein Selbstbewusstsein aus, das auf die meisten Menschen
Weitere Kostenlose Bücher