Duke - Ein weiter Weg zurueck (German Edition)
beugte sich langsam vor, tauchte ein in meine Augen, hielt mich damit fest.
„Ich warte“, flüsterte er leise. Ich wusste, worauf er wartete, und obwohl sich auf einmal in meinem Kopf eine kleine warnende Stimme meldete, rutschten mir die Worte bereits aus dem Mund.
„Küss mich.“ Er reagierte nicht, außer dass seine Fingerspitzen meine Lippen berührten. „Bitte küss mich“, flüsterte ich, zu mehr war ich nicht mehr fähig.
Konnte ein breites Lächeln noch breiter werden? Ich schloss erneut die Augen. Seine Lippen waren so sanft und weich. Ich öffnete mich, ließ ihn eintauchen in meine Welt und löste mich im gleichen Moment auf. Vorsichtig zog er sich zurück. Doch ich griff mit beiden Händen nach ihm, nicht bereit, ihn gehen zu lassen. Die Heftigkeit meiner Reaktion überraschte mich selbst. In einem Anflug von Panik fragte ich mich, ob ich ihn tatsächlich hier und jetzt in der Küche in seinem Elternhaus zum Äußersten nötigen würde. In diesem Moment brach meine innere Stimme durch. Diesmal nicht mit einem dumpfen Ton, sondern mit einem Bild. Bettina, die zusammengekauert heulend auf ihrem Bett saß, und ich hörte ihre Stimme. „Nach seinem ersten Kuss war ich verloren. Ich hatte keine Chance mehr.“ Ich erstarrte. Henning ließ mich sofort los.
Atemlos machte ich einen Schritt von ihm weg. In mir wirbelten die Gefühle wild durcheinander. Ich sah ängstlich in sein Gesicht. War da ein Triumph? Nein, er sah mich ratlos an, sein Atem ging wie nach einem Marathon, die Arme hingen nutzlos herunter. Ich versuchte, meine Erregung, die meinen gesamten Körper durchzog, in irgendeiner Art zu kontrollieren. Schließlich ging mein Herz ruhiger. Die Ameisen in meinem Körper verharrten regungslos. Du darfst ihm nicht trauen, sagte die Stimme in meinem Kopf. Aber warum sieht er so verwirrt aus, wenn das alles hier Berechnung ist? Fragte leise eine andere Stimme, die ich bisher noch nicht gehört hatte. Alles nur Schauspielerei. Du hast ihm damals gesagt, du würdest eher sterben als ihn bitten, dich zu küssen. Soviel zu deinem Wort, grollte die andere Stimme. Welche deiner Prinzipien willst du heute Nacht noch aufgeben? Alle, wagte sich die andere Stimme vor. Hilfe, versuchte ich mich in die Diskussion der Stimmen einzumischen.
„Kannst du nicht schlafen?“ Eine samtig kühle Stimme ließ mich vor Schreck zusammenfahren.
Hennings Blick kühlte sich schlagartig ab. Sein Gesicht verschloss sich, er runzelte die Stirn, wich zurück, bis er die Anrichte erreichte, lehnte sich an die Arbeitsfläche und verschränkte die Arme vor der Brust. Wie eine Auster, die erst eine schöne Perle zeigt, und sich dann wieder verschließt. Ich drehte mich langsam um. Von mir nur durch die Küchentheke getrennt, stand Selina Sander. Das Kleid hatte sie gegen ein seidenes Nachthemd getauscht, dass ihren Körper schimmernd umfloss. Ein tiefes, makelloses Dekolleté bot sich dem Betrachter an. Selbst ungeschminkt, mit langen weichen Haaren, die in Wellen bis zu den Schultern reichten, war sie verführerisch schön. Aphrodite, aus dem Himmel herabgestiegen, um den Mann zu verführen. Ich schluckte, kam mir mit einem Mal klein und hässlich vor. Selina ignorierte mich vollkommen. Ihre ganze Konzentration lag auf Henning. Sie warf ihm einen Blick zu, der Eis zum Schmelzen gebracht hätte. Ich sah zu Henning. Der weiterhin mit verschränkten Armen, kühl Selina musternd. Anscheinend hatte er heute auf das Eis verzichtet.
In mir tobte noch immer ein Wirrwarr von Gefühlen. Ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte. Aber ich war dankbar, dass Selina die Aufmerksamkeit von Henning auf sich zog, so konnte ich mich wieder unter Kontrolle bekommen. Meine Arbeit mit den Pferden hatte mich feinfühlig gemacht für Kommunikation über Körper. Was ich sah, verwirrte mich. Selinas Körperhaltung einladend, Henning abweisend. Doch hinter dem Bild weiblicher Verführung steckte noch etwas anderes, das ich nicht greifen konnte. Wie eine Venusfalle, die sich präsentierte, um dann sein Opfer zu verschlingen. Und Henning schien genau zu wissen, dass Gefahr lauerte. Dass das Äußere lediglich eine geschickte Falle war.
Spannung lag in der Luft. Ich musste etwas tun, aus Angst, dass mich eine Entladung genauso treffen würde wie einen der beiden, die damit aber offenbar Erfahrung hatten. Mein Blick erfasste die Teekanne auf der Küchentheke. Mir fiel nichts Besseres ein. Ich ergriff die Kanne, drehte mich zum Schrank um, holte
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