Duke - Ein weiter Weg zurueck (German Edition)
einen Becher heraus, schenkte den Tee ein und stellte ihn vor Selina auf die Theke.
„Bitte sehr“, sagte ich lahm. Selina starrte mich an, musterte mich von oben bis unten, runzelte die Stirn, zog die Augenbrauen hoch. Ablenkung gelungen, dachte ich grimmig.
„Danke“, erwiderte sie kalt. Ich schauderte. Geprüft und durchgefallen, war mein nächste Gedanke, und ich wunderte mich, warum ich das amüsant fand. Vielleicht, weil ich mich an eine andere Begegnung erinnerte, wo sie so scheißfreundlich zu mir gewesen war. Eine Begegnung, an die sie sich ganz offensichtlich nicht erinnerte. Ich drehte mich um und fing Hennings Blick auf. Ein Lächeln umspielte seine Lippen und seine verschlossenen Augen schenkten mir einen kurzen zärtlichen Moment. Ich spürte, wie mir wieder die Röte ins Gesicht schoss. Wie konnte er mich so ansehen, wenn hinter mir Aphrodite saß, seine ehemalige Verlobte? Wie konnte er mich überhaupt noch wahrnehmen? Es verwirrte mich total, und bevor ich in meinem seelischen Durcheinander Dinge tat, die ich am nächsten Morgen garantiert bereuen würde, ging ich auf die Hintertür zu. Einen Moment zu spät, denn in diesem Augenblick kam eine weitere Person in die Küche. Konnte es noch schlimmer werden? Es konnte, dachte ich verzweifelt, als Thomas sich hinter Selina stellte und seine Hand besitzergreifend auf ihre Schulter legte. Selina nippte an ihrem Tee. Thomas sah seinen Bruder herausfordernd an. Henning blieb völlig gelassen. Im Gegenteil, er entspannte sich regelrecht gegenüber vorher.
Irgendetwas schien zwischen den dreien vorzugehen. Ich hatte nicht die blasseste Ahnung, worum es dabei gehen konnte. Und im Grunde genommen wollte ich das auch gar nicht wissen. Ich machte einen neuen Anlauf, die Flucht zu ergreifen. In dem Augenblick änderte sich schlagartig Hennings Haltung. Seit Thomas das Feld betreten hatte, waren seine Augen nur auf seinen Bruder gerichtet gewesen. Bevor ich mich fragen konnte, welchen stummen Dialog ich zwischen den beiden verpasste hatte, sträubten sich meine Nackenhaare, und mein Fluchtinstinkt erwachte. Ich drehte mich langsam zu Thomas und Selina um. Er sah mich mit seinen kalten braunen Augen an. Thomas hatte mich entdeckt. In meinem Kopf hallte ein Lachen, das nur ich hörte. Ich verstand nicht, warum ich es hörte.
„Hallo, Vera, du bist ja noch da.“ Sein Blick wanderte von mir zu Henning und wieder zurück. Sein Mund verzog sich zu einem gemeinen Lächeln. Geh, riefen mir beide innere Stimmen diesmal vereint zu. Statt auf sie zu hören, blieb ich wie angefroren auf der Stelle stehen. Thomas beugte sich zu Selina hinab, brachte seine Lippen nah zu ihrem Ohr. Henning richtete sich zu voller Größe auf.
„Erinnerst du dich noch an Vera Kamphoven, mein Schatz?“ Er sprach laut genug, jeder im Raum konnte ihn verstehen. Selina sah mich an, und diesmal erinnerte sie sich an mich. Ich fühlte, wie der Boden unter mir wankte.
„Du siehst, es gibt keinen Grund, eifersüchtig zu sein, nur weil ich einmal vor langer Zeit mit ihr geschlafen habe.“
Selina verzog herablassend den Mund. Ich erstarrte wie ein Kaninchen vor der Schlange. Wo war die Ohnmacht? Wo war das Loch, in dem ich mich verkriechen konnte? Warum löste ich mich nicht einfach in Luft auf oder erwachte aus diesem Traum. Die Zeit dehnte sich zu einer Ewigkeit, in der ich am liebsten vor Scham gestorben wäre. Dann endlich reagierte mein Körper. Schwer und behäbig drehte ich mich um und sah, wie Henning fassungslos Thomas ansah, dann zu mir sah und wieder zurück zu Thomas. Sein Blick setzte meine restlichen Körperfunktionen in Kraft. Ich rannte zur Hintertür, riss sie auf und verschwand in die dunkle Nacht.
Es regnete. Ich rannte, bis mir der Atem ausblieb. Die Anziehsachen klebten an meinen Körper. Ich lehnte mich an einen Baum, rang um Fassung. Wie damals in der Nacht, als ich mit dem Fahrrad von Bettina nach Hause gefahren war. Unendlich verletzt, von dem was mir meine Freundin gebeichtet hatte.
Damals hielt ein Wagen auf der Straße, ich hatte das Rad geschoben, viel zu aufgewühlt, um zu fahren. Henning stieg aus dem Wagen, schnappte sich das Rad und warf es auf die Pritsche.
„Steig ein“, hatte er mir im Befehlston zugerufen. Ich war viel zu erschöpft gewesen, um zu widersprechen, aber ich bewegte mich auch nicht. Als ich nicht reagierte, beförderte er mich einfach auf den Beifahrersitz. Erst waren wir schweigend weitergefahren, dann hatte er angefangen zu
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