Duke - Ein weiter Weg zurueck (German Edition)
anderen Pferden zu tun. Blieb nur ich. Konnte ich die Wunden pflegen? An sich konnte ich das natürlich. Ich wusste zudem sehr gut, wie ich ein Pferd in der Rekonvaleszenzzeit wieder fit bekam. Ich hatte mich zu Flys Zeiten ausgiebig mit Physiotherapie beschäftigt, es war mir wichtig gewesen, dass Fly durch die hohe Belastung beim Springen keine Schäden davontrug. Meinem Vorsatz, mich von den Pferden fernzuhalten, widersprach es freilich völlig. Allerdings hatte ich für Melanie oder Lasse schon mal das nächste Pferd gesattelt oder die Führrunde übernommen, wenn die Pferde abschwitzen sollten. Im Grunde ging es gar nicht um meine Angst vor der Nähe zu den Pferden. Ich spürte doch, wie sehr mir der Geruch, die Berührung der Tiere gefehlt hatten. Sie waren ein Teil von mir, von meinem Leben. Eigentlich hatte ich Angst vor meinen eigenen Gefühlen.
Aber es stellten sich ernste Fragen. Was war, wenn der Heilungsprozess von Duke nicht so verlief wie bisher? Duke war für mich nicht irgendein Pferd. Es hatte die gleiche Abstammung wie Flying High, und mein Vater hatte viel Zeit in ihn investiert. Was würde geschehen, wenn ich für ihn die gleichen Gefühle entwickelte wie zu Fly? Was, wenn ich ihn genauso wieder verlieren würde? Oder wenn er alles super überstand, aber dann würde ich wieder gehen?
War es das? Erst den Hof in Ordnung bringen, dann die Finanzen, Papa wäre wieder gesund, und schon kann Vera wieder verschwinden? Ich wusste selbst, dass ich das alles sehr idealistisch sah. Allein bei den Finanzen würde der Hof mindestens zwei Jahre brauchen, damit er sich erholte, vielleicht sogar drei. Dafür war Duke natürlich wichtig, denn mit einem Hengst, der für die Zucht begehrt war, konnte man ganz gut Geld verdienen. Mehr noch freilich mit seinen Nachkommen. Doch welche Chance hatte Duke, wenn ich nichts unternahm?
Ich stöhnte auf. Ich würde nicht hilflos mit ansehen können, wie Duke womöglich eingeschläfert wurde, weil ich ihm keine Chance gegeben hatte. Auf keinen Fall.
Ich presste meine Handballen auf die Schläfen und drückte mein Gesicht auf die Knie. Es dauerte, bis der Schmerz in mir nachließ. Und dann traf ich eine Entscheidung. Ich würde alles in meiner Macht Stehende tun, um Duke zu helfen. Wie sehr es mich auch schmerzte. Es war meine Chance, ein wenig von dem wiedergutzumachen, was ich seinem Bruder angetan hatte. Ich stand auf und ging zum Stall. Ich brauchte die Hilfe von Lasse.
Während ich noch die Box von Duke mit Sägespänen vorbereitete, holte Lasse bereits mit dem Pick-up den Hänger. Ich war froh, dass Lasse das Fahren übernahm. Er war meinen Erklärungen, dass wir Duke von der Klinik abholen würden, ohne einen Kommentar gefolgt. Keine Ahnung, was Henning ihm erzählt hatte. Ich informierte Mama, dass ich nicht im Krankenhaus vorbeischauen konnte, und meldete uns in der Tierklinik an.
„Alles klar mit dir?“, fragte Lasse mit ruhiger Stimme. Schon immer hatte ich seine Stimme schön gefunden. Sie war tief und warm. Sogar wenn er einen beim Reiten kritisierte, fand ich es angenehm, ihm zuzuhören. Auch heute hatte seine Stimme eine beruhigende Wirkung auf mich. Und so konnte ich ihm meine Befürchtungen erzählen, die mich den ganzen Tag geplagten hatten.
„Nein, es ist überhaupt nichts klar. Was wir gerade machen, nämlich Duke aus der Klinik holen, macht mir wahnsinnig Angst.“
„Darf ich dich etwas fragen, ohne dass du gleich wütend wirst?“ Seine Stimme klang vorsichtig. Das war seine typische Einleitung für Bemerkungen, die einen mit Sicherheit wütend machen würden. Trotzdem nickte ich.
„Warst du seit deinem Unfall wieder auf einem Pferd?“
Ich schüttelte den Kopf.
„Ist es seither auch das erste Mal, dass du wieder in einem Stall arbeitest?“
Ich nickte.
Es entstand eine Pause. Lasse runzelte nachdenklich die Stirn. „Und jetzt fahren wir in die Klinik und holen Duke ab. Du weißt, dass ich keine Zeit habe, mich auch noch um ein verletztes Pferd zu kümmern?“
Ich schwieg, und er warf mir einen kurzen Blick zu. Dann bog er in eine Haltebucht ein. Jetzt drehte er sich zu mir um. „Vera, warum machst du das alles hier?“
„Ich weiß es nicht.“ Tränen stiegen mir in die Augen, und ich kam mir wieder wie ein kleines Mädchen vor.
„Weißt du, im Grunde mache ich gerade auch alles falsch.“ Er lächelte mich an. „Ich lasse mich von Henning breitklopfen, ihm beim Stall zu helfen, obwohl Ingrid und ich alle Hände voll auf dem
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