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DuMaurier, Daphne - Plötzlich an jenem Abend

DuMaurier, Daphne - Plötzlich an jenem Abend

Titel: DuMaurier, Daphne - Plötzlich an jenem Abend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown
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unterdessen kennengelernt, und es gehört eben dazu, daß das Ganze mit einem Geknutsche endet, das erwarten die Mädchen. Offen gestanden bin ich nie sehr für solche Küssereien gewesen. Früher, als ich noch zu Hause wohnte, ehe ich eingezogen wurde, ging ich mit einem Mädchen; sie war wirklich ein nettes Ding, ich mochte sie gern leiden. Aber sie hatte ein bißchen vorstehende Zähne, und selbst wenn ich die Augen zumachte, um zu vergessen, wen ich eigentlich küßte, wußte ich doch immer, daß sie es war, und aus war der Traum! Ja, ja, die gute alte Doris von nebenan! Aber die andere Sorte, die einen packt und beinahe auffrißt, ist doch schlimmer. Steckt man in der Uniform, rennen einem solche Weiber haufenweise über den Weg. Sie sind zu erpicht darauf, machen einen ganz konfus, und man hat immer das Gefühl, sie könnten es nicht abwarten, bis sie einen endlich soweit haben. Mir ist, rundheraus gesagt, dabei immer speiübel geworden. Nahm mir total die Lust.
    Aber jetzt, an diesem Abend im Bus, war alles ganz anders. Ich weiß nicht, was eigentlich an dem Mädchen dran war – diese verhangenen Augen, dieses kupferrote Haar und dann ihre Art, so zu tun, als mache sie sich nichts aus mir und habe mich doch gleichzeitig gern; so etwas war mir bisher noch nie begegnet. Ich fragte mich also im stillen: Soll ich's riskieren oder soll ich noch warten? An der Art, wie der Fahrer Gas gab und der Schaffner vor sich hin pfiff und den Aussteigenden »Guten Abend« nachrief, merkte ich, daß wir bald an der Endstation sein mußten. Das Herz unter der Jacke begann mir zu klopfen, mein Nacken unter dem Kragen wurde ganz heiß – verdammt blöd, ich wollte ja schließlich nur einen Kuß, deswegen würde sie mich schon nicht umbringen –, und dann… Dann stürzte ich mich kopfüber hinein, wie von einem Sprungbrett. Los jetzt, dachte ich, beugte mich über sie, drehte mir ihr Gesicht zu, hob ihr Kinn mit der Hand empor und küßte sie gründlich und ausdauernd.
    Wenn ich poetisch wäre, würde ich sagen, daß das, was dann geschah, wie eine Offenbarung war. Aber ich bin nicht poetisch, und deshalb kann ich nur sagen, daß sie mich wiederküßte, daß es lange dauerte und ganz anders war als bei Doris.
    Dann hielt der Bus mit einem Ruck, und der Schaffner rief mit singender Stimme. »Alles aussteigen, bitte!« Wahrhaftig, ich hätte ihm den Hals umdrehen können.
    Sie puffte mich an den Knöchel. »Los, reg dich«, sagte sie, und ich taumelte von meinem Sitz hoch und polterte die Treppe hinunter; sie folgte mir, und da standen wir also auf der Straße. Es hatte auch noch zu regnen angefangen, nicht schlimm, aber doch so, daß man es merkte und gern den Mantelkragen hochschlug. Wir befanden uns am Ende einer großen, breiten Straße mit verlassenen, dunklen Läden zu beiden Seiten, mir schien es das Ende der Welt zu sein, und tatsächlich, lag da nicht zur Linken eine Anhöhe und am Fuß der Anhöhe ein Friedhof? Ich konnte die Umzäunung und die weißen Grabsteine dahinter erkennen. Er erstreckte sich beinahe den halben Hügel hinauf, war wohl mehrere Morgen groß.
    »Gott verdamm mich«, rief ich, »hast du diesen da gemeint?«
    »Kann sein«, sagte sie mit einem gleichgültigen Blick über die Schulter und ergriff meinen Arm. »Wollen wir zuerst eine Tasse Kaffee trinken?« fragte sie.
    Zuerst…? Meinte sie nun vor dem langen Trott nach Haus, oder war sie hier schon zu Hause? Aber es spielte ja keine Rolle. Es war erst kurz nach elf. Und eine Tasse Kaffee und ein Butterbrot dazu konnte ich wohl vertragen. Auf der andern Straßenseite stand ein Kiosk, der noch nicht geschlossen war.
    Wir marschierten hinüber; der Fahrer war auch dort und der Schaffner und auch der Kerl von der Air Force, der auf dem Oberdeck ganz vorn gesessen hatte. Alle bestellten Tee und Butterbrote, wir nahmen aber statt Tee Kaffee. An solchen Kiosken gibt es leckere Brote, das wußte ich, sie knausern dort nicht, ordentliche Schinkenscheiben zwischen zwei dicken Weißbrotschnitten, brühheißen Kaffee und die Tassen bis obenhin voll, mehr konnte man für sein Geld nicht verlangen. Ich dachte bei mir: Sechs Shilling werden längst reichen.
    Mir fiel auf, daß mein Mädchen zu diesem Kerl von der Air Force hinüberschaute, ganz gedankenverloren, so als hätte sie ihn schon früher gesehen, und auch er blickte zu ihr hin; das konnte ich ihm nicht verdenken. Ich nahm es auch durchaus nicht übel; schließlich ist man ja doch ein bißchen stolz, wenn

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