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DuMaurier, Daphne - Plötzlich an jenem Abend

DuMaurier, Daphne - Plötzlich an jenem Abend

Titel: DuMaurier, Daphne - Plötzlich an jenem Abend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown
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Abgang vor und gab als Entschuldigung ein spätes Nachtessen mit Freunden an.
    Gerade als er weggehen wollte, drückte ihm Herr Lieber ein Brieflein in die Hand. Scrivener erkannte Annettes Schrift und steckte es ein. Ein letzter Händedruck, eine letzte Verbeugung, und er ergriff die Flucht.
    Ein Dauerregen fiel, als er auf die Straße trat. Und kein Taxi war in der Nähe.
    Er stand einen Augenblick da, schaute nach rechts und nach links und erinnerte sich dann des Briefleins in seiner Tasche.
    »Liebster Robert«, las er, »Du warst wunderbar. Alberto ist ganz überwältigt. Wir gehen früh weg, damit wir im Ansturm nicht zertrampelt werden. Ich nehme an, daß Du mit der Gesellschaft dinieren wirst und erst nach Mitternacht ins Hotel zurückkommst. Drum will ich Dir nur schnell sagen, daß ich Alberto in Dein Zimmer hinaufnehme; wir essen dort; wir sind zum Tanzen zu müde. Ich freue mich, Dich später zu sehen; nochmals herzliche Gratulation und innige Grüße, Annette!«
    Robert Scrivener zerknüllte den Brief in seiner Hand und warf ihn in den Rinnstein. Dann eilte er mit aufgestülptem Kragen die Straße entlang, um ein Taxi zu finden. Und wenn er eins gefunden hätte, wohin hätte er gehen sollen? Eben jetzt machten es sich Annette und Alberto in seinem Zimmer gemütlich.
    Den Kopf hielt er wegen des Regens gesenkt, und eine Menschenansammlung zwang ihn stillzustehen.
    Als er um sich blickte, bemerkte er, daß er in eine Kinoschlange geraten war, und unfähig, weiterzugehen oder sich frei zu machen, war er gezwungen, sich mit der Schlange weiterzubewegen.
    So war er wenigstens vor dem Regen geschützt; das war der einzige Vorteil dieser Art sich fortzubewegen. Langsam wurde er zum Schalter getragen.
    Es war einfacher, sich vom Zufall überrumpeln zu lassen. Er wollte vor allem sitzen und sich ausruhen. Scrivener suchte in seiner Tasche nach Kleingeld, und als er beim Schalter vorüberkam, tauschte er es gegen den schmalen Zettel ein, den man ihm dafür gab.
    Der Film, er wußte nicht, was es war, hatte angefangen. Galoppierende Pferde jagten einander auf der breiten Leinwand, und Musik schluchzte. Robert Scrivener war sehr müde. Der süße Champagner hatte für den Augenblick seine gespannten Nerven betäubt, und dafür hatten trauriges Selbstmitleid, ein heimwehkrankes à quoi bon seine Stimmung in Resignation verwandelt. Er lehnte sich in seinen harten, billigen Sessel zurück, eingesäumt und angeatmet von andern, die waren wie er, und hob seine Augen zur Leinwand. Nach und nach wurde der Faden der Geschichte erkenntlich. Die Hauptfigur war ein Mann in mittleren Jahren, dessen Leben zu versauern angefangen und der in einem Augenblick von trunkener Tollheit seine Frau umgebracht hatte. Drauf verliebte er sich in seine Stieftochter. Der Hintergrund der Geschichte war öde Prärie.
    Als Scrivener der Entwicklung der Geschichte folgte und die Hauptperson, die er selbst hätte sein können, über die Prärie wandern sah – nicht nur von seiner Stieftochter, sondern auch von seinen Pferden verlassen –, da empfand er ein schreckliches Gefühl der Verzweiflung.
    Tränen drangen in seine Augen und begannen langsam seine Wangen hinunterzurinnen. Dieser elende Mensch war er selber. Die Stieftochter war Annette Limoges. Und die Pferde, die der Mann am Anfang der Geschichte mit soviel Vertrauen und Kraft geführt hatte und die ihm jetzt davonrannten und sich mit donnernden Hufen über die wilden Prärie zerstreuten, diese Pferde bedeuteten für Scrivener die Werke, die er geschrieben hatte und die nun für ihn verloren waren, verzettelt über die vertanen Jahre seines eigenen leeren Lebens.
    Da saß er auf dem billigen Kinoplatz und weinte. Er hatte jetzt kein Interesse an Vergangenheit oder Zukunft. Der Gedanke, nach London zurückzufliegen und an seiner Biographie von Swedenborg weiterzuschreiben, widerte ihn an. Er nahm sein Taschentuch hervor und schneuzte sich die Nase, als das Wort »Ende« auf der Leinwand aufleuchtete.
    Erst jetzt, als er die Titel las, die wiederholt wurden, realisierte er, daß das, was er gesehen und was ihn so sehr bewegt hatte, eine Adaption jenes Bestsellers war, den er immer verachtet hatte; jenes Kassenfüllers, den vor etwa einem Jahr der Schriftstellerkollege geschrieben hatte; vergangene Woche hatte er an der Hochzeit dieses Kollegen teilgenommen.
    Robert Scrivener versorgte sein Taschentuch, stand auf und schob sich durch die Menge in die feuchten Straßen von Genf. Sein Maß war

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