Dumm gelaufen: Roman (German Edition)
Zahl?«, frage ich.
»Hm?«
»Auf dem Zettel. Da standen doch zwei Zahlen.«
»Unwichtig.«
Ich zähle Eins und Eins zusammen. Das kann ich nämlich. Bei tausend und einer Million steige ich aus. Aber Eins und Eins kann ich. »Ihre Handynummer, stimmt’s?«
»Hm?«
»Birgit hat dir ihre Handynummer aufgeschrieben.«
Wir halten an, die Schranke fährt nach oben, wir rollen vom Parkplatz.
Das Versicherungsgebäude ist nicht weit vom Zoo entfernt. Um allerdings zu Kurt Stöber zu gelangen, müssen wir quer durch die Stadt. Phil sagt, der Bezirk heiße Lichtenberg. Sagt mir nichts, außer dass sich hier irgendwo der andere Berliner Zoo befinden muss. Gibt ja zwei in der Stadt.
Bei uns erzählt man sich, dass es den Tieren im Tierpark, so heißt der zweite Zoo nämlich, viel besser ginge als bei uns, dass die dort verhätschelt würden wie in einer Wellness-Oase. Die Löwen, so heißt es, dürften dort lebende Antilopen jagen, und das Becken der Seekuh soll so groß sein, dass sie einen ganzen Tag braucht, um einmal die Ränder abzuschwimmen. Ach ja: Und die Voliere für die Kondore ist so hoch, dass man vom Boden aus das Dach nicht sehen kann. Wer’s glaubt, kann ich da nur sagen. Oder, um mit meinem Bruder Rufus zu sprechen: Das Gras auf der anderen Seite ist eben immer grüner. Anschauen würde ich mir den Tierpark trotzdem gerne mal, eines Tages.
Phil stellt den Motor ab. Die schmale Seitenstraße, in der wir parken, ist eine ziemlich triste Angelegenheit. Die Sonne scheint noch immer, und die ersten Vögel zwitschern. Aber nicht in dieser Straße. Das Einzige, was einen hier an die Natur erinnert, ist die Hundescheiße auf dem Bürgersteig. Davon allerdings hat es reichlich. Wellness-Oase geht anders.
Auf der Fahrt hat mein Partner mir Kurt Stöber als »sesselfurzendes Schlitzohr« beschrieben. Viel mehr weiß offenbar auch er nicht: undurchsichtige DDR -Vergangenheit, nach der Wende ein »Büro für Sicherheits- und Informationsfragen«, seit einigen Jahren nur noch als Externer für Versicherungen tätig. Man kennt sich eben in der Branche.
Vor der vergilbten Tür im dritten Stock eines heruntergekommenen Altbaus bleibt Phil stehen. Über der Klingel hängt ein Messingschild, das mal mit zwei Schrauben befestigt war, jetzt aber nur noch an einer hängt. Als Phil es antippt, schwingt es hin und her wie ein Pendel. Er drückt den Klingelknopf, im Inneren schrillt eine Glocke. Schlurfende Schritte im Flur, eine Bewegung hinter dem Spion. Offenbar sind die hier nicht gewohnt, dass jemand persönlich vorbeikommt. Schließlich wird die Tür geöffnet, und eine bleiche Frau mit bleichen Haaren erscheint.
»Ja, bitte?«
Phil stellt sich vor und erklärt unser Anliegen. Die Frau tritt einen Schritt zurück. Soll offenbar so viel heißen wie:
Herzlich willkommen! Bitte, treten Sie doch ein!
Das »sesselfurzende Schlitzohr« sitzt hinter einem Schreibtisch aus massiver Eiche. Irgendetwas in seinem teigigen Gesicht lässt auf eine Reaktion schließen, als wir eintreten, einen Denkprozess. Die Augen vermutlich, könnten aber ebenso gut auch die Ohrläppchen sein. Er weiß, er hat den Mann, der da in seinem Büro steht, schon einmal gesehen, kann ihn aber nicht verorten.
Um besser nachdenken zu können, zieht er eine Zigarette aus der vor ihm liegenden Packung und zündet sie an. Dabei kann er sich über Nikotinmangel in seinem Büro nicht beklagen. Der Qualm ist so dicht, dass man kaum von einer Wand zur anderen sehen kann. Mir hat es im Hausflur bereits im Hals gekratzt. Rechts und links von ihm ragen Papierstapel auf. Bei manchen Akten haben die Ränder der Seiten bereits einen Gelbstich. Mit der Zigarettenspitze schiebt Stöber die Stummel in seinem Aschenbecher so zusammen, dass er seine Zigarette auf dem Rand ablegen kann.
Dann hat er es: »Tach, Herr Mahlow.«
»Tag, Herr Stöber.« Phil setzt sich. »Wie laufen die Geschäfte?«
Stöber zieht an seiner Zigarette, bläst den Rauch aus, gräbt sich mit dem Hintern in seinem Sessel ein. »Zum Leben reicht’s.« Er macht einen arglosen Eindruck, hat Tränensäcke wie Schwimmbassins, doch seine wässrigen Augen liegen auf der Lauer. Ein sesselfurzendes Schlitzohr eben.
Mein Partner erklärt ihm, weshalb wir hier sind: der Reitunfall, die Auftraggeberin, die Versicherung, Frau Schimmelpfennig.
»Ich will ganz ehrlich zu ihnen sein, Herr Mahlow.« Stöber zündet sich am Stummel seiner Zigarette eine neue an. Mir ist inzwischen ganz blümerant. Und
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