Dumm gelaufen: Roman (German Edition)
Luft bekomme ich schon länger nicht mehr. »Ich hätte nichts dagegen, wenn sich herausstellen sollte, dass der Unfall kein Unfall war. Sie wissen ja, wie es läuft: Die Versicherung zahlt mir fünfzehn Prozent der Versicherungssumme, falls ich etwas finde, das die Auszahlung der Prämie verhindert. Leider sehe ich bisher nicht, was das sein könnte.« Er zieht an seiner Zigarette, als würde ihm andernfalls das Herz stehenbleiben. »Die Uckermarks sind knapp bei Kasse und könnten das Geld gut gebrauchen. Allerdings stecken sie nicht so tief in der Klemme, dass jemand wie der Alte ein paar Jahre Knast riskieren würde, um die letzte Futterrechnung zu begleichen. Der Jockey scheint ebenfalls sauber zu sein. Und liegt im Koma. An dem ist, nach meiner Einschätzung, nicht mehr dran als an einem abgenagten Hundeknochen. Was das Pferd betrifft: Es sollte sein letztes Rennen werden, so oder so. Insofern würde ein Versicherungsbetrug schon Sinn machen. Aber letztlich sind das alles nur Vermutungen.« Stöber lehnt sich nach hinten. Sein Stuhl nimmt es klaglos hin. »Wenn der Sturz getürkt war«, schließt er, »dann verdammt gut. Zu gut, fürchte ich. Der Versicherung wird nichts anderes übrigbleiben, als die Prämie auszuzahlen. Und ich«, er macht ein erleichtertes Gesicht, als habe er gerade lautlos in seinen Sessel gefurzt, »werde meinen Ruhestand auf Barbados noch ein paar Jahre aufschieben.«
Inzwischen atme ich wie durch eine Makkaroni. Ich gebe mir noch, ich weiß nicht, drei Sekunden, bevor ich in Ohnmacht falle.
»Was dagegen, wenn
ich
mich ein bisschen bei den Uckermarks umsehe?«, fragt Phil.
»Ihre Auftraggeberin scheint ja wild entschlossen.«
»Sie ist emotional involviert, könnte man sagen.«
»Emotional involvierte Frauen …« Stöber klingt unendlich müde. »So was ist immer schwierig.«
»Also?«
»Von mir aus tun Sie, was Sie nicht lassen können. Aber eins muss klar sein: Solange Sie offiziell als Versicherungsbeauftragter auftreten, dürfen Sie die Grenze der Legalität nicht überschreiten. Ich hatte Ärger genug in meinem Leben, da will ich nicht, dass mir so ein Fall auf die Füße fällt.«
»Und wenn ich tatsächlich etwas finde, das die Auszahlung der Prämie verhindert?«
»Zwanzig für Sie, achtzig für mich.«
»Dreißig, Siebzig.«
»Soll mir recht sein.«
»Brauchen wir einen Vertrag?«, vergewissert sich Phil.
»Ich brauch keinen.«
Phil steht auf, Stöber nicht. Über den Tisch hinweg reichen sie sich die Hände.
Kaum sind wir auf die Straße getreten, keuche ich: »Mach die Tasche auf, schnell!«
Phil klappt den Deckel zurück. Endlich! Durchatmen, den Gestank aus meinem Fell klopfen. Luft, die nach Abgasen und Hundescheiße riecht. Köstlich. Ein-at-men, aus-at-men.
»Geht’s wieder?«
Ich halte eine abwehrende Kralle empor. Atmen ja, reden nein. Hiiii – aaaahhh, hiiii – aaaahhhh. Ich fiepe wie Lydia, die Antilope, wenn sie mal wieder hyperventiliert. Kurz sehe ich die Welt um mich herum verschwommen, zu viel Sauerstoff, dann Sternchen, dann geht es wieder.
»Wieso hast du mit Stöber keinen Vertrag gemacht?«, will ich wissen. »Wenn der wirklich die Kohle von der Versicherung einstreicht, ist er schneller auf Barbadingsda, als ein Fennek gegen den Zaun pinkeln kann.«
In der Zeit, die wir in Stöbers Räucherkammer verbracht haben, hat sich tatsächlich ein klitzekleines Fitzelchen Sonnenlicht in die Straße vorgewagt. Grund genug für Phil, seine Sonnenbrille aufzusetzen. »Erstens: Leute wie Stöber interessieren sich nicht für Verträge. Auch nicht dafür, sie einzuhalten. Zweitens: Selbst wenn die Versicherung ihm die Provision zahlt, wird er nicht nach Barbados fliegen. Er wird niemals nach Barbados fliegen.«
»Woher weißt du das?«
»Stardust war auf Eins Komma eine Million Euro versichert. Das bedeutet, wenn Stöber die Auszahlung verhindert, bekommt er 165 000 Euro. Ich weiß, dass du nicht weißt, wie viel das ist, aber lass dir sagen: Es ist eine Menge. Trotzdem kann nicht einmal die Aussicht auf 165 000 Euro Stöber dazu bringen, sich aus seinem Stuhl zu erheben … Der fliegt in diesem Leben nirgendwo mehr hin.«
Phil entriegelt den Wagen und steigt ein. Ich klettere auf meinen Fliegende-Elefanten-Sitz. Mein Partner steckt den Schlüssel ins Zündschloss, dreht ihn aber nicht um. Die Hand am Schlüssel, gehen seine Gedanken auf Wanderschaft. Ich frage nicht nach. Das braucht man manchmal – dass die Gedanken ihre eigenen
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