Dune 01: Der Wüstenplanet
wirklich.«
Jessica war unfähig, darauf etwas zu erwidern.
»Du wirst es bald überstanden haben«, sagte die Stimme in ihrem Innern.
Es ist eine Halluzination, sagte sich Jessica. Die Droge ...
»Du weißt selbst, daß es mehr ist als das«, sagte die Stimme. »Verhalte dich jetzt ganz still und wehre dich nicht. Wir haben nicht mehr viel Zeit ... Wir ...« Es entstand eine lange Pause. Dann: »Du hättest uns sagen müssen, daß du schwanger bist!«
Endlich fand sie die innere Stimme, die eine Antwort geben konnte.
»Warum?«
»Dies wird euch alle beide verändern! Heilige Mutter, was haben wir nur getan?«
Jessica spürte, daß sich ihnen ein drittes Partikel näherte. Erschreckt wich sie zurück. Das Partikel ruderte ziellos umher und strahlte in panischem Entsetzen.
»Du wirst jetzt stark sein müssen«, sagte das Bild der Ehrwürdigen Mutter in ihr. »Und sei dankbar, daß es eine Tochter ist, die du in dir trägst. Ein männlicher Fötus wäre bei dieser Veränderung zerstört worden. Jetzt ... vorsichtig ... langsam ... berühre das Bewußtsein deiner Tochter. Absorbiere ihre Angst ... beruhige sie ... gib ihr deine Kraft und deinen Mut ... vorsichtig und sanft ...«
Das dritte wirbelnde Partikel kam näher. Es kostete Jessica einige Überwindung, es zu berühren.
Das Entsetzen drohte sie zu überwältigen.
Sie kämpfte es nieder und benutzte dazu die einzige Methode, die sie kannte: »Ich werde mich nicht fürchten. Die Furcht tötet das Bewußtsein ...«
Die Litanei gab ihr wieder Selbstvertrauen. Das andere Partikel lag zitternd in ihrer Nähe.
Worte allein genügen nicht, wurde Jessica klar.
Sie reduzierte ihre Gedanken auf einfachste Gefühlsbewegungen, strahlte Liebe und Geborgenheit aus und mütterliche Besorgtheit.
Das Entsetzen schwand.
Erneut nahm sie die Anwesenheit der Ehrwürdigen Mutter in sich wahr. Sie bildeten nun eine dreifache Person, in der zwei aktiv waren, während die dritte lediglich schweigend dahintrieb und aufnahm.
»Die Zeit wird knapp«, begann die Ehrwürdige Mutter. »Ich habe dir viel mitzugeben, doch ich weiß nicht, ob deine Tochter das alles wird ertragen können. Aber es muß sein. Der Stamm hat absoluten Vorrang.«
»Was ...?«
»Sei still und nehme auf!«
Erfahrungen liefen vor Jessica ab. Sie fühlte sich an einen der Lernprojektoren in der Bene-Gesserit-Schule erinnert. Aber es war schneller ... unglaublich viel schneller.
Und dennoch deutlich.
Jedes der Erlebnisse, die sich vor ihrem inneren Auge abspielten, war ihr bekannt: der Geliebte, ein schlanker und bärtiger Fremen mit dunklen Augen. Jessica erkannte seine Kraft und Zärtlichkeit durch die Erfahrungen der Ehrwürdigen Mutter.
Es gab keine Zeit, um darüber nachzudenken, was der weibliche Fötus dabei empfand. Jessica konnte lediglich aufnehmen, registrieren und speichern. Die Erfahrungen füllten sich an: Geburt, Leben, Tod – wichtige und unwichtige Dinge, nebensächliche Kleinigkeiten aus dem Leben der Ehrwürdigen Mutter.
Weshalb erinnert sie sich an den Sandrutsch von dieser Klippe? fragte sich Jessica. Zu spät erkannte sie, was geschah: die alte Frau lag im Sterben und schüttete in diesem Moment alle Erinnerungen in einem Guß in ihr Bewußtsein wie Wasser in eine Tasse. Während Jessica sie beobachtete, kehrte das andere Partikel in ein Stadium zurück, den es vor der Geburt innegehabt hatte. Und als die Ehrwürdige Mutter starb, hatte sie Jessica alle Erfahrungen und Erinnerungen hinterlassen.
»Ich habe lange auf dich gewartet«, sagte sie. »Hier hast du mein Leben.«
Und dann war es da, eingekapselt, alles, was sie hatte.
Und dann: der Moment des Todes.
Jetzt, dachte Jessica, bin ich die Ehrwürdige Mutter.
Im gleichen Augenblick wurde ihr klar, daß sie es wirklich war; daß die Droge sie verändert hatte. Sie war eine Ehrwürdige Mutter der Bene Gesserit.
Ebenfalls wußte sie, daß dies nicht der Weg war, auf dem man an der Schule vorgegangen war. Obwohl ihr niemand je gesagt hatte, wie die Zeremonie vor sich ging, wußte sie mit Bestimmtheit, daß dieser Weg ein anderer war als der beabsichtigte.
Aber das Endergebnis war das gleiche.
Jessica spürte das Tochterpartikel allmählich verblassen, und ein entsetzliches Einsamkeitsgefühl blieb in ihr zurück, als sie darüber nachdachte, was mit ihr geschehen war. Ihr eigenes Leben erschien wie ein verlangsamtes Muster, während um sie herum das Leben wieder schneller zu pulsieren begann.
Das Gefühl der eigenen
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