Dune 01: Der Wüstenplanet
Band der Trauer.
Chani richtete sich wieder auf, erwiderte seinen Blick und sagte: »Auch unter dem Glücksgefühl des Wassers kann ich um ihn trauern.« Sie legte ihre Hand in die seine und zog ihn am Bühnenrand entlang fort. »Es gibt eine Sache, die uns beide betrifft, Usul. Wir haben beide unseren Vater durch die Hand der Harkonnens verloren.«
Paul folgte ihr mit einem Gefühl, als sei sein Bewußtsein von seinem Körper plötzlich losgelöst. Seine Beine wurden gefühllos und erschienen ihm wie Gummi.
Sie folgten einem engen Seitengang, der nur von wenigen Leuchtgloben erhellt wurde, und er fühlte, wie die Droge ihn in den Griff bekam. Die Zeit schien sich wie eine Blüte vor ihm zu öffnen. Als sie in einen anderen Gang abbogen, mußte er sich gegen Chani lehnen. Die Mischung aus Nachgiebigkeit und Stärke, die er unter ihrer Robe zu fühlen bekam, brachte sein Blut in Wallung. Diese Entdeckung unter dem Einfluß der Droge führte zu dem einzigartigen Gefühl, daß sich hier Vergangenheit und Zukunft in der Gegenwart trafen und miteinander verschmolzen.
»Ich kenne dich, Chani«, flüsterte er. »Wir haben gemeinsam auf einem Felsen über dem Sand gesessen. Ich tröstete dich in deiner Angst. Wir haben uns in der Dunkelheit des Sietch umarmt und liebkost. Wir haben ...« Er kam plötzlich völlig aus dem Konzept und brach kopfschüttelnd ab.
Chani stützte ihn, führte ihn durch einen schweren Vorhang in die gelblich beleuchtete Wärme eines Privatraums. Paul nahm niedrige Tische wahr, Kissen und eine Liege unter einem orangefarbenen Deckengehänge.
Paul stellte fest, daß sie stehengeblieben waren, daß Chani vor ihm stand und sein Gesicht ansah. In ihrem Blick lag sanftes Erschrecken.
»Davon mußt du mir erzählen«, flüsterte sie.
»Du bist Sihaya«, sagte Paul. »Der Wüstenfrühling.«
»Wenn der Stamm sich das Wasser teilt«, erwiderte sie, »sind wir alle eins. Wir ... teilen. Ich fühle die anderen, aber ich fürchte mich, mit dir zu sein.«
»Warum?«
Er versuchte seine Gedanken auf das Mädchen zu konzentrieren, aber Vergangenheit und Zukunft begannen sie zu überschatten und brachten ihn in Verwirrung. Sie verschwamm vor seinen Augen, und er fand sie wieder – in zahllosen Variationen innerhalb verschiedener Zeitströme.
»Irgend etwas ist beängstigend an dir«, sagte Chani. »Als ich dich von den anderen wegführte ... tat ich es, weil ich fühlte, was die anderen wünschten. Du ... übst einen Druck auf die Leute aus. Du bringst uns dazu, Dinge zu sehen.«
Er bemühte sich, deutlich zu sprechen. »Was siehst du?«
Sie schaute auf ihre Hände. »Ich sehe ein Kind ... in meinen Armen. Es ist unser Kind, deines und meines.« Erschreckt legte sie eine Hand auf ihren Mund. »Wie kann ich dich nur so genau kennen?«
Auch sie besitzen diese Fähigkeit bis zu einem gewissen Grad, dachte Paul. Aber sie unterdrücken sie, weil sie sich davor fürchten.
In einem Moment der Klarheit sah er, daß Chani zitterte.
»Was ist es, das du mir sagen willst?« fragte er.
»Usul«, flüsterte sie und zitterte immer noch.
»In die Zukunft kann man nicht zurückkehren«, sagte Paul.
Er wurde plötzlich von einem starken Mitleid ergriffen, zog sie an sich und streichelte ihr Haar. »Du brauchst dich nicht zu fürchten, Chani.«
»Usul«, schluchzte sie. »Hilf mir!«
Während er sprach, spürte er, wie die Wirkung der Droge in ihm den Höhepunkt erreichte. Sie riß einen grauen Schleier zur Seite – und jetzt sah er, was dahinter verborgen gewesen war.
»Du bist so still«, sagte Chani.
Das, was er sah, hielt ihn völlig in seinem Bann gefangen. Er sah die Zeit, die sich vor ihm erstreckte, verzerrt zu einer unglaublichen Dimension, sah die Wirbel, die sich vor seinen Augen dahinbewegten, wie sie Kräfte ansammelten, die er nicht verhindern konnte. Welten und Mächte, dazwischen ein klaffender Abgrund, über den er auf einem schmalen Balken gehen mußte.
Auf der einen Seite sah er das Imperium und einen Harkonnen mit dem Namen Feyd-Rautha, der ihm entgegenstob wie eine tödliche Schwertklinge. Und die Sardaukar, die sich in Scharen von ihrem Planeten lösten, um Tod und Verderben über Arrakis zu bringen; die Gilde, die darin verwickelt war und schließlich auch die Bene Gesserit mit ihrem geheimnisvollen Plan der selektiven Aufzucht.
Sie alle lagen wie ein drohendes Gewitter über dem Horizont, und alles, was sie noch zurückhielt, waren die Fremen unter ihrem Muad'dib. Ein schlafender
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